Die geheime Sprache der Katzen von Susanne Schötz
Mit Luz, dem Bärchen, würde eine echte Plaudertasche bei mir einziehen. So viel war klar. Nicht klar war mir, wie umfangreich ihr phonetisches Repertoire ist. In ihrer ersten Nacht bei mir produzierte sie Töne – nie hätte ich gedacht, dass eine Katze dazu fähig sein könnte. Zudem klang keiner dieser Laute entspannt oder sprach gar von Freude. Später weckte sie mich regelmäßig mit einem spitzen »i«. Oder auch einem »ia«. Um mir dann Köpfchen zu geben. Mitten ins Gesicht. Spätestens da lernte ich, dass Kätzisch weit komplexer ist als schlichtes Miauen. Doch kann man von einer Sprache sprechen? Ja, sagt die schwedische Sprachwissenschaftlerin Susanne Schötz. Mit ihrem Buch Die geheime Sprache der Katzen verdeutlicht sie, dass kätzische Laute Sinn, Zweck und System haben. Ein Wörterbuch Deutsch – Kätzisch wird es dennoch wohl nie geben.
Ein Miau ist nicht gleich ein Miau
Nicht jede Katze spricht mit ihrem Menschen so viel wie Luz mit mir. Eigentlich bevorzugen Katzen die Kommunikation mittels Duftstoffen, Körpersprache oder Berührung. Viele Katzen haben aber verstanden, dass wir Menschen in Sachen Duft, Körpersprache und Berührung reichlich ignorant sind. Wir verstehen ja oft noch nicht mal ein schüchternes Zuzwinkern. Auf lautliche Äußerungen hingegen reagieren wir viel besser. Vor allem, wenn diese an die Frequenz eines weinenden Babys heranreichen. Also produzieren Katzen in der Kommunikation mit ihren Menschen Laute. Doch sind diese bedeutungstragend?
Bedeutung, so die Sprachwissenschaftlerin, lässt sich auch einer kätzischen Äußerung immer nur im Kontext zuordnen. So wie ein menschliches Ja je nach Situation und Befindlichkeit des Sprechers auch Vielleicht bedeuten kann, bedeutet ein Miau beim Tierarzt wahrscheinlich etwas ganz anderes als zu Hause vor dem leeren Napf. Wahrscheinlich ist aber auch, dass das Miau beim Tierarzt ganz anders klingt. Sprich: auf anderen Lauten basiert.
Mit Lauten kennt Susanne Schötz sich aus. Die Professorin für Phonetik greift auf die Methoden ihres Faches zurück und benennt insgesamt 45 verschiedene Katzenlaute. Zwanzig davon sind Vokale, 25 Konsonanten, die sie in Lautschrift darstellt. Acht weitere Spezialzeichen kommen hinzu, um das Kätzische genauer beschreiben zu können. Wie zum Beispiel die Zeichen für Ein- und Ausatmen, die es braucht, um das Schnurren lautschriftlich darzustellen. Schnurren erklingt nämlich durchgängig beim Ein- und Ausatmen. Ob die Bedeutung dabei unterschiedlich ist, sei jedoch dahingestellt.
Die geheime Sprache der Katzen kennt drei Hauptkategorien
Schnurren gehört wohl zu den schönsten Katzenlauten schlechthin. Dabei ist noch immer ungeklärt, wie Katzen diesen Wohlklang überhaupt erzeugen. Phonetisch betrachtet ist das Schnurren jedenfalls nur eine Unterkategorie der Lautbildung mit geschlossenem Maul. Dem gegenüber gibt es noch die Lautbildung mit öffnend-schließendem und die mit gespanntem, offenem Maul. Diese drei Hauptkategorien hat Susanne Schötz von Mildred Moelk übernommen, die 1944 die erste Studie zu Katzenlauten verfasst hatte.
Neben dem Schnurren gehört zu den Lauten mit geschlossenem Maul noch das Gurren. Mit öffnend-schließendem Maul lässt sich mancherlei Laut kreieren, so vor allem neben dem Heulen und dem Katzengesang das bekannte Miauen. Letzteres wiederum lässt sich aufteilen in Fiepen, Quieken, Jammern, Miauen und Gurr-Miauen. Die dritte Hauptkategorie erscheint ebenso vielfältig. Mit gespanntem-öffnendem Maul lässt es sich knurren, fauchen, spucken, kreischen sowie schnattern und zwitschern.
Wir reden aber immer noch von Katzen, oder?
Gurren, fiepen, schnattern, zwitschern. Ja, wir reden noch von Katzen. Und deren Repertoire kann sich durchaus noch erweitern. Denn Katzensprache entsteht, genauso wie menschliche Sprache, im Austausch mit anderen. So lernen kleine Katzen nicht nur von ihrer Mama, mit welchen Lauten sich Ziele erreichen lassen. Sie lernen es auch von ihren Menschen. Entsprechend entwickeln Katzen auch Dialekte. Ich muss also davon ausgehen, dass Luz mit mir friesisch gefärbtes Kölsch-Kätzisch spricht und entsprechend eine bayrische Katze nicht so gut verstehen würde. Aber das spielt keine Rolle, sie mag ohnehin keine anderen Katzen.
Apropos andere Sprache: Höchst bemerkenswert finde ich übrigens, dass die schwedische Autorin Die geheime Sprache der Katzen auf Deutsch verfasst hat. Dank freundlicher Unterstützung zweier Lektorinnen auch nur auf Deutsch. Der Katzenmarkt hierzulande gibt den Aufwand offenbar her.
Anleitung zum besseren gegenseitigen Verstehen
Die geheime Sprache der Katzen ist aus dem Bedürfnis einer Phonetikerin entstanden, den lautlichen Output ihrer gleich fünf Katzen zu differenzieren. Auch sie bietet einer echten Plaudertasche ein Zuhause (Donna), deren Geschwister Rocky und Turbo etwas schweigsamer sind. Zu ihnen gesellen sich Vimsan (»die mit dem Popo wackelt«) und Kater Kompis, die es in Sachen Gesprächigkeit ebenfalls nicht mit Donna aufnehmen können. Also berichtet Susanne Schötz nicht nur von ihren wissenschaftlichen Studien, sondern liefert auch Katzengeschichten und Tipps im Umgang mit Katzen. Das ist auch gut so, denn Ersteres kann streckenweise ein bisschen anstrengend sein. Da wird auch der Verlag gesagt haben, hey, wir wollen das Buch ja auch irgendwie verkauft bekommen.
Immerhin haben wir hier viel mit Lautschrift und Fachbegriffen zu tun. So unterscheidet sich ein [miaʊ] vom [me:ʊ] durch den offenen vorderen ungerundeten Vokal vom halb geschlossenen vorderen ungerundeten Vokal. Und was mag wohl [↓h:r̃-↑r̃:h-↓h:r̃-↑r̃:h] sein? Richtig, das ist Schnurren. Mit Ein- und Ausatmen, dem Doppelpunkt als Längenzeichen für den vorderen Laut und nasalem, mit der Zungenspitze gerolltem »r«. Alles klar?
Damit das alles nicht nur theoretisch daherkommt, bietet Susanne Schötz auf der Website meowsic.info diverse Beispiele in Bild und Ton. Da es hier noch keine Beispiele für das Fiepen gibt, würde ich ja glatt die eingangs erwähnten »i« und »ia« der Autorin audiovisuell zukommen lassen – würde Luz diese Laute noch von sich geben. Aktuell lässt sich mich aber von selbst aufwachen und dann meine Nase in ihr Fell versenken.
»Wenn neben mir das Bärchen gurrt…
… ist’s, als ob ein Täubchen schnurrt.« So lautet der erste Songtext, den ich für Luz geschrieben habe (recht kurz, aber für einen Punksong reicht es allemal). Damals wusste ich noch nicht, dass Gurren – vor allem als Gurr-Miauen – eine der häufigsten Lautäußerungen von Katzen ist. Zumindest hatte ich zuvor noch keine Katze kennen gelernt, die so viel gurrt, grunzt und brummt wie das Bärchen. Ob nun mit oder ohne Miauen hintendran, das Gurren macht einen Gutteil unserer Konversation aus: »Hallo Süße!« – »Brrrh!« Oder auch: »Mrrriau! Mrrriau! MRRRIAUUU!« – »Ah, du möchtest also noch ein Leckerli, verstehe.«
Mittlerweile habe ich mir auch schon angewöhnt, auf ein unvermitteltes Grunzen ihrerseits mit einem fragenden Gegengrunzen zu antworten. Zu weiterer Klärung der Kommunikationsabsicht kommt es dabei allerdings eher selten.
Die geheime Sprache der Katzen von Susanne Schötz ist 2018 beim ecowin Verlag erschienen.