Glass Onion: A Knives Out Mystery
Es ist schon wieder passiert. Ein Mord. Ein Haufen Verdächtiger mit eigenen Motiven. Ein eigentümlicher Ermittler. Und ein Regisseur, der sich einen Spaß daraus macht, alle Erwartungen auf den Kopf zu stellen.
Eigentlich hätte es nicht funktionieren dürfen. Knives Out, der Erfolgskrimi von 2019, hatte einen Trick angewandt, der exakt einmal funktioniert. Aufgebaut als klassisches „Whodunnit“ („Wer hat es getan?“) belebte Autor und Regisseur Rian Johnson ein vermeintlich totgeglaubtes Genre wieder auf und präsentierte ein Szenario, das sich in die klassische Tradition alter Agatha Christie-Klassiker einreihte. Die Rolle des exzentrischen Ermittlers nahm Daniel Craig ein – sein Hercule Poirot heißt Benoit Blanc, Star-Detektiv mit Vorliebe für verschwurbelte Metaphern und einem derart übertriebenen amerikanischen Südstaaten-Akzent, dass bei dem Erklingen seiner Stimme die Rippchen förmlich von selbst auf das Barbecue springen. In Knives Out ermittelte Blanc den vermeintlichen Selbstmord eines reichen Autors und er wie der Zuschauer weiß schnell: Humbug, das war Mord. Und der Täter stammt aus der Familie des Verstorbenen…
Aber alle, die Knives Out gesehen haben, wissen, dass das nicht die ganze Story ist, denn nachdem Rian Johnson alle Puzzleteile elegant auf dem Tisch ausgebreitet hatte, zückte er nach etwa einem Drittel der Laufzeit genüsslich einen Laubbläser und wirbelte alles wieder durcheinander. Das Resultat war ein hochgradig unterhaltsamer, twistreicher Film mit mehr als nur einem Schuss hochaktueller Gesellschaftskritik.
Das Ding ist, ein solches Manöver zu wiederholen, ist alles andere als einfach. Und ehrlich gesagt hatte wohl kaum jemand erwartet, dass Rian Johnson in einem Sequel erneut eine solche Überraschung auspackt, denn jetzt ist es ja keine Überraschung mehr. Wir sind vorgewarnt. Oder?
Vorneweg: Glass Onion ist keine Direktfortsetzung von Knives Out, auch wenn der zugegebenermaßen etwas sperrig-chaotische Titel etwas anderes suggeriert. Die Figuren aus dem ersten Film tauchen nicht mehr auf, lediglich Ermittler Benoit Blanc ist zurück. Der Fall ist neu, die Figuren sind neu, die Twists sind … ebenfalls neu?
Es herrscht Corona. Nicht nur in der echten Welt, sondern auch im Film. Inmitten der Pandemie schickt Tech-Milliardär Miles Bron (Edward Norton) sechs Puzzle-Boxen raus, die nach ihrer Auflösung Einladungen zu seiner sündhaft teuren Privatinsel beinhalten, um dort an einem Krimirätselspiel teilzunehmen. Unter den geladenen Gästen befinden sich die Politikerin Claire Debella (Kathryn Hahn), die Mode-Designerin Birdie Jay (Kate Hudson), der rechtskonservative Streamer Duke Cody (Dave Bautista), Brons „rechte Hand“ in seinem Unternehmen Lionel Toussaint (Leslie Odom Jr.) sowie Brons ehemalige Geschäftspartnerin Cassandra Brand (Janelle Monáe). Und Detektiv Benoit Blanc (Daniel Craig). Dessen Anwesenheit, zu Beginn noch ein Rätsel für alle Beteiligten, erweist sich schnell als Segen, als aus dem mörderischen Spiel bitterer Ernst wird.
Ich weiß nicht genau, wie Johnson das gemacht hat, aber er hat es tatsächlich geschafft: Er zieht den Zuschauern wieder den Teppich unter den Füßen weg, ohne sich bzw. den Vorgängerfilm zu wiederholen. Stattdessen findet Glass Onion einen neuen, erfrischenden Dreh, mit dem der Film über die altbekannten Konventionen eines klassischen Whodunnits hinausgeht, ohne die Zutaten, die diese Art Filme so unterhaltsam und zeitlos machen, zu vergessen.
Wobei, zeitlos ist hier vielleicht der falsche Ausdruck. Hier darf man Rian Johnson sicherlich nicht zu viel zuschreiben, immerhin wurde der Film bereits vor einiger Zeit abgedreht. Aber die Realität schafft es immer wieder, die Fiktion zu überbieten und so ist Glass Onion mit seinem gesellschaftskritischen Ansatz einer der versehentlich topaktuellsten Filme des Jahres. Bereits Knives Out sprach abseits seines locker-leichten Tons sehr ernste und im Zeitalter eines Amerikas nach Donald Trump hochgradig relevante Themen an. Ich will nichts vorwegnehmen, deshalb nur soviel: Die Wahl, Glass Onion auf der Insel eines arroganten Milliardärs, der sein Geld auf zwielichtige Weise in der Technik-Industrie angehäuft hat, spielen zu lassen, lässt an mehreren Stellen an tagesaktuelle Schlagzeilen erinnern.
Aber auch abseits des Drehbuchs funktioniert Glass Onion wieder vorzüglich: Daniel Craig hat nach der Beerdigung seines Bonds sichtbar den Spaß seines Lebens und wirft sich mit übertriebenem, aber niemals deplatziert wirkendem Gusto in die Rolle des Benoit Blanc. Unterstützt wird er erneut von einem mehr als spielfreudigem Cast – zwar fehlen dieses Mal die ganz großen Namen wie Jamie Lee Curtis oder Christopher Plummer, doch auch Glass Onion kann mit seiner eigenen Riege an herrlich gespielten Ekelpaketen aufwarten: Allen voran Edward Norton, dem noch nie eine Rolle begegnet ist, der er sich nicht mit voller Energie verschreibt und der als Miles Bron klar hervorsticht. Trotzdem soll hier Kathryn Hahn, eine der derzeit unterschätztesten Schauspielerinnen in Hollywood, nicht unerwähnt bleiben und Muskelpaket Dave Bautista zeigt nach Blade Runner 2049 ein weiteres Mal, dass in ihm auch abseits des Wrestling-Rings ein überaus tauglicher Schauspieler steckt. Und dann sind da noch die geheimen Cameos großer Stars, die ich definitiv nicht vorwegnehmen will – es macht einfach absurd viel Spaß, diese zu entdecken, auch wenn bei ein, zwei Beispielen ein etwas melancholischer Beigeschmack mitschwingt.
Ist Glass Onion so gut wie Knives Out? Ja! Absolut! Nicht nur erweist sich das Drehbuch erneut als energiereich und extrem witzig, es kommen auch trotz 140 Minuten Laufzeit keine Längen oder Durchhänger auf. Die Story ist clever, die Kulisse ist beeindruckend und das zentrale Geheimnis ist mitreißend ohne dass dabei die gesellschaftskritische Substanz des ersten Films unter die Räder gerät. Rian Johnson ist das Unmögliche gelungen: Er hat wieder unsere Erwartungen untergraben.
Hätte man erwarten können.
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