Hidden Kingdoms (DVD)
Im Königreich der kleinen Tiere
In Hidden Kingdoms sind die Kleinen die ganz Großen: Da putzt die Elefantenrüsselmaus in Ostafrika ihre Rennstrecken, während die Grashüpfermaus in der nordamerikanischen Sonora-Wüste unter Beweis stellt, warum sie auch Skorpionmaus heißt. Hörnchen in Kanada und Borneo kämpfen mit ihren Fressrivalen um ihre kulinarischen Bedürfnisse, derweil Büscheläffchen im Großstadtdschungel Rio de Janeiros Raubzüge begehen. Insgesamt gut 50 Tiere ergänzen diese fünf Hauptfiguren der zweiteiligen BBC-Produktion, die Executive Producer Mike Gunton als eine Mischung aus Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft, Pixar und Naturkunde bezeichnet.
Size matters – sometimes
Kein Tier ist schneller als die Elefantenrüsselmaus, die auch unter dem Namen Sengi bekannt ist. Sicher, Geparden gelten gemeinhin als die schnellsten Landbewohner. Aber Geparden sind auch wesentlich größer als die kleine Maus, die zu der Ordnung der Rüsselspringer gehört. In ihrer Größenklasse sind Rüsselspringer jedenfalls unschlagbar. Das mag zum einen daran liegen, dass sie wie Kängurus zwei Fortbewegungsarten kennen: das Laufen und das Springen. Zum anderen bewohnen sie in Ostafrika Grasland, in das sie Schneisen schlagen. Diese nutzen sie als ihre Rennstrecken. Solange sich ihnen auf diesen Wegen, die sich auf einer Fläche von gut einem Quadratkilometer erstrecken können, nichts in den Weg stellt, kann kaum ein anderer mithalten. Deshalb verbringt ein Sengi die meiste Zeit des Tages mit Putzen. Schwierig gestaltet sich diese Ordnungsliebe allerdings immer dann, wenn die großen Rüsselträger ihr Revier betreten. Ein Elefant wiegt zehntausendmal mehr als ein ausgewachsenes Sengi. Das bringt für den Minirüssel schwerwiegende Probleme mit sich. Nicht nur, dass so ein Elefantenbein alles platt macht, was der kleine Rüsselträger in mühevoller Kleinarbeit gerade aufgeräumt hat. Ganz böse wird es, wenn der Große seine Hinterlassenschaft auf die Rennstrecken des Kleinen fallen lässt. Da braucht es tatsächlich noch kleinere Racker, dem Bekackten zu helfen: Mistkäfer. Zu Sengis Glück handeln diese Mistkäfer – so klein sie selbst auch sind – nach dem Motto size matters. Je größer die Mistkugel, die sie durch die Gegend rollen, desto größer auch die Wahrscheinlichkeit, damit Weibchen zu beeindrucken. Die Herren Käfer legen sich beim Kugeln also mächtig ins Zeug und erleichtern damit der Maus das Leben.
Grashüpfermäuse – unerschrocken und arachnophob
In der Sorona-Wüste Nordamerikas geht es nicht nur heiß zu. Bei bis zu sechzig Grad Celsius kreuchen und fleuchen zwischen Mexiko und Südkalifornien eine Menge hochgiftige Tiere. Hier gibt es mehr Klapperschlangen als sonst auf der Welt. Auch Skorpione fühlen sich heimelig. Allerdings nur, bis eine der nachtaktiven Grashüpfermäuse ihren Weg kreuzt. Nicht umsonst heißen die auch Skorpionmäuse, denn Skorpione sind des Grashüpfers Lieblingsspeise. Immun gegen das Skorpiongift lassen sich die wackeren Fellknäuel auf heftige Auseinandersetzungen ein, die sie im Allgemeinen gewinnen. Und damit alle davon erfahren, stoßen sie hinterher einen markerschütternden Schrei aus. Weit fataler gestaltet es sich für die kleinen Jäger, während Regen in einer Bodensenke festzusitzen. Schwimmen gehört nicht zu den Basiskompetenzen einer durchschnittlichen Wüstenmaus. Die Flucht vor einer jagenden Wüstenbussard-Truppe ziehen die unerschrockenen Fleischfresser auf jeden Fall der Begegnung mit einer Vogelspinne vor. Ein deutliches Indiz für die unfassbare Klugheit dieser felligen Grashüpfer.
Geschick und Geschwindigkeit sind die Tugenden der Kleinen
Auch auf Borneo, in Kanada und in Brasilien sichern Geschick und Geschwindigkeit das Überleben der ganz Kleinen. Greift eine Schlange ein Spitzhörnchen an, weiß dieser gerade fünfzehn Zentimeter große Dschungelbewohner Borneos, was die Stunde geschlagen hat, und macht einen Riesensatz auf den nächsten Baum. Das weite Springen ist das Hörnchen gewohnt, springt es alltäglich den von seinem Baum fallenden Früchten hinterher. Dummerweise gehören diese Früchte auch zur Lieblingsspeise der ebenfalls hier angesiedelten Orang Utans. Fünfhundertmal größer als das Spitzhörnchen können die rothaarigen Primaten an einem Tag weit mehr verdrücken als das wahrscheinlich klügste Lebewesen dieses Planeten. Diese Klugheit bemisst sich an der Größe des Gehirns in Relation zur Körpergröße – und braucht entsprechend eine Menge Energiezufuhr. Wenn ein Spitzhörnchen nicht alle zwei Stunden etwas zwischen seine kleinen spitzen Zähne bekommt, sind seine letzten Stunden schnell gezählt.
Zwischen Pest und Cholera
Auch in den Wäldern Kanadas kämpfen Hörnchen um ihr Überleben. Steht der Winter vor der Tür, gilt es für Streifenhörnchen, ausreichend Nüsse für die lange karge Zeit zu sammeln. Diese lagern sie in ihren Erdlöchern. Als Alleinstehende haben die Hörnchen dabei aber das Problem, nicht gleichzeitig nach Nachschub suchen und das Lager bewachen zu können. Beklaut einen da ein Kontrahent, steht der Beklaute vor der Wahl, entweder binnen kürzester Zeit die Arbeit eines ganzen Herbstes zu wiederholen, oder sich in einem wüsten Gefecht dem Dieb zu stellen. Bei der Wahl zwischen Pest und Cholera spricht vieles für Letzteres. Auch wenn ein Streifenhörnchen riesige Backentaschen hat – wäre es ein Mensch, könnte es bis zu sieben Bowlingkugeln verstauen –, bedeutet das Sammeln doch immer auch die potentielle Begegnung mit so hungrigen Gesellen wie Uhus.
Welcome to the Jungle
Wie so manch andere Metropole in entsprechender Klimazone fallen auch in Rio de Janeiro regelmäßig Affenbanden in die Stadt ein, um Mundraub zu begehen. In der brasilianischen Großstadt sind es Büschelaffen, die kaum größer als eine Handfläche sind. Bei ihren Raubzügen wissen die geschickten Äffchen die Stromleitungen der Stadt zu nutzen. Und während der Vorwitzigste unter ihnen über die Auslagen in einem offenen Küchenfenster herfällt, balancieren die anderen Schmiere. Das Prinzip funktioniert für die kleinen Räuber super – bis irgendetwas sie voneinander isoliert. Auf sich alleine gestellt, erscheint auch der Mutigste unter ihnen recht kleinlaut. Immerhin sind die Primaten groß genug, um nicht wie in der Stadt lebende Blattschneideameisen von einem weggeworfenen Coffee to go weggeschwemmt zu werden. Lebensmittelabfälle wüsste wohl auch ein alleingelassener Büschelaffe eher zu schätzen – und wer weiß, zu welch Höhenflügen er dank Koffein fähig wäre.
Keine kann wie Anke Engelke
Erzählerin der deutschen Version von Hidden Kingdoms ist keine Geringere als Anke Engelke. Und die findet auf ihre unnachahmliche Weise eine wunderbar passende Tonart irgendwo zwischen ernsthaft und pointiert ironisch. Einen Satz wie: »Die ultimative Katastrophe: ein Coffee to go« kann wahrscheinlich keine wie sie einsprechen, ohne dabei ihre respektvolle Grundhaltung den kleinen Hauptdarstellern gegenüber zu verlieren. So weit zum lobenswerten Aspekt der Tonspuren. Nun gibt es aber auch die, wie ich finde, reichlich alberne Atmo. Auch wenn sehr wohl passend zur Absicht, eine Geschichte irgendwo zwischen Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft, Pixar und Naturkunde zu erzählen – kreischende Bremsen und sonstige Geräusche aus der Welt des Motorsportes im Zusammenhang mit dem Fortbewegungsverhalten kleiner Rennmäuse finde ich reichlich albern. Und auch wenn ich ein gewisses Amüsement bei der Musikauswahl empfunden habe (Stichwort: Welcome to the Jungle), so habe ich auch die Musikspur als überzogen erlebt.
Wenn Matrix-Neo gegen Matrix-Smith kämpft
Auch auf der Bildebene fällt mein Urteil gespalten aus. Einerseits zeigen die Extras der DVD den enormen Gewinn, den die Arbeit mit einer 1500 Bilder pro Sekunde aufzeichnenden Kamera liefert. Für das Auge wäre eine kämpferische Auseinandersetzung zweier Streifenhörnchen überhaupt nicht zu erkennen. Was in Bruchteilen einer Sekunde stattfindet, sieht durch die extreme Zeitlupe dann so aus, als würde Matrix-Neo gegen Matrix-Smith kämpfen. Das ist schon extrem beeindruckend. Ohne Erläuterung hielt ich Szenen wie diese aber tatsächlich für eine computergenierte Animation. Mit zu diesem Eindruck beigetragen hat die Nutzung von Bluescreens zwecks Zusammenfügen von unterschiedlichen Bildinhalten: Wenn sich im Vordergrund die Skorpionmaus in extremer Zeitlupe bewegt und sich im Hintergrund das riesige Maul einer Klapperschlange öffnet, dazu dann auch noch dramatischste Musik läuft, sehe ich mich nur noch in der Pixar-Welt. Gegen die ich an sich nichts habe. Mit der erhofften Tierdokumentation hat diese Machart aber nur noch sehr bedingt zu tun. Wer sich daran nicht stört, kauft sich mit Hidden Kingdoms sicherlich einen Spaß für die ganze Familie.
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar der DVD von Universum Film erhalten.