Ingrid Goes West
Von persönlichen Abneigungen, wechselnden Meinungen und dem grausamsten Horror von allen: Instagram.
Frau Plaza, bitte sagen Sie jetzt nichts! Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen. Uff…Frau Plaza, das hört sich so steif an, so förmlich. Aubrey! Darf ich Sie Aubrey nennen? Nicht?
Wie ich in Ihr Haus gekommen bin? Ist jetzt erstmal irrelevant. Hören Sie erstmal bitte zu, das ist wichtig!
Ich habe das Gefühl, ich bin Ihnen eine Entschuldigung schuldig, Frau Plaza. Doch, doch, bin ich, widersprechen Sie mir bitte nicht, das hier ist grade echt schwer für mich.
Kennen Sie das, wenn man bestimmte Schauspieler instinktiv nicht leiden kann? Irgendetwas stört einen an diesem Schauspieler oder an dieser Schauspielerin, irgendwas ist unsympathisch, sei es seine oder ihre Art zu spielen, bestimmte Macken oder Manierismen, die einen immer wieder aus dem Film reißen oder sei es die Person selbst. Das muss nicht mal fair sein, oft ist es eine ganz persönliche Grundhaltung, die sich unmittelbar einstellt und die man sich nicht anders erklären kann, als „Mir geht Jennifer Lawrence irgendwie auf die Nerven, deshalb habe ich mir den Film nicht angeguckt“ oder „Wenn ich Robert Pattinson nur sehe, kriege ich Aggressionen“. Vor solchen Vorbehalten sind auch professionelle Kritiker nicht gefeit, siehe gewisse Chefs (nennen wir sie der Anonymität wegen mal Fabian M.), die äußern „Sorry, aber Michael Ironside konnte ich noch nie leiden!“ Ich behaupte mal, jeder von uns hat mindestens einen solchen Schauspieler im Hinterkopf, der instinktiv Abneigung hervorruft. Keine gute Voraussetzung für eine faire und ausgeglichene Rezension.
Aaaaaber jetzt kommen wir zu dem eigentlichen Punkt: Ansichten können sich ändern. Bislang war es Aubrey Plaza, die meinem Interesse an bestimmten Filmen eine augenblickliche Abkühlung bescherte. Irgendwie wirkte sie in den Projekten, in denen ich sie gesehen hatte, immer gelangweilt und steif, mit einer merkwürdig distanzierten Schauspiel-Art, die durchaus Teil ihrer Figur sein konnte, die mich aber immer genervt hatte. Doch nachdem ich ihre Glanzrolle in der überaus unterhaltsamen Mindfuck-Serie Legion sowie den hier zu besprechenden Film Ingrid goes West gesehen habe, muss ich sagen: Ich habe Aubrey Plaza Unrecht getan.
Ein Film über Social Media, was soll da schon schief gehen?
Ingrid Thorburn (Aubrey Plaza) kennt Taylor Sloane (Elizabeth Olsen). Nicht im echten Leben, aber im Internet, vor allem über Taylors Instagram-Account, in dem diese ihre Fans an ihrem Alltag teilhaben lässt. Ingrid verfolgt und liked jeden einzelnen Post von Taylor, bis sie das Objekt ihrer Obsession persönlich aufsucht. Und nicht nur das: Sie zieht in ein Haus, das in der Nähe von Taylors eigenem Anwesen liegt und entführt Taylors Hund, nur um ein „zufälliges“ Aufeinandertreffen zu arrangieren. Von da an dreht sich jede Sekunde in Ingrids Leben nur noch um Taylor und sie spannt sogar ihren Batman-verrückten Vermieter Dan (O’Shea Jackson Jr.) in ihre Pläne ein. Klar, dass das nicht lange gut geht…
Ingrid goes West ist nicht ohne Probleme, aber nichts davon ist Aubrey Plaza zuzuschreiben. Sie spielt die titelgebende Ingrid mit einer tragikomischen Intensität, die ihresgleichen sucht. Mal wirkt ihre Figur in ihrer Verzweiflung und Entschlossenheit sympathisch, mal ähnelt sie fast einer Psychopathin aus einem Horrorfilm. Emotional und furchteinflößend. Und oft auch ganz schön witzig. Ironischerweise ist dies nach ihrer durchgedrehten Performance in Legion bereits das zweite Mal, dass sich Aubrey Plazas jeweilige Figur zeitweise in einer Psychiatrie aufhält. Die Dame scheint einen Rollentyp gefunden zu haben. So oder so: Respekt!
Respekt ist auch für die übrige Besetzung angebracht, allen voran Elizabeth Olsen, die die meisten findigen Blockbuster-Fans wohl als eine der mittlerweile gefühlt 85 Avengers kennen werden. Sie ist als oberflächlicher Instagram-Star absolut ideal besetzt. Es sind die kleinen Details ihrer Figur, die sie so authentisch unauthentisch wirken lassen – genau wie die Social-Media-Sternchen im echten Leben. Olsen spielt die übertriebene Begeisterung und aufgesetzte Nahbarkeit gekonnt, ohne dass die menschlichen Momente gegen Ende zu kurz kommen.
Etwas ratlos lässt mich O’Shea Jackson Jr. In seiner Rolle als Vermieter/Ingrid-Komplize Dan Pinto zurück. Nicht weil Jackson (übrigens der Sohn von Rapper Ice Cube) einen schlechten Job macht, sondern weil seine Figur etwas angetackert wirkt. Dan ist weniger Person als vielmehr Plot-Element und seine Obsession mit Batman wirkt eher bemüht als komisch, auch wenn sie später im Film tatsächlich eine kurze zentrale Rolle spielt.
Cool. Und der Film, wie ist der so?
Vor ein paar Jahren gab es eine Folge der dystopischen Sci-Fi Serie Black Mirror, in der Menschen sich gegenseitig mit Sternen bewerten. Permanent. Jede Interaktion, jeder Dialog, jeder einzelne Schritt wird genau beobachtet und anschließend gnadenlos auf einer Skala von eins bis fünf bewertet. Diese Folge, ähnlich wie eine Folge der Comedy-Serie Community, die mit einem ähnlichen Konzept spielte, schuf eine sehr unangenehme Grundstimmung. Im Gegensatz zu vielen anderen Black Mirror-Folgen ging es hier nicht um Leben oder Tod, sondern „nur“ um Alltagsstatus. Aber gerade das machte die Spannung, nein, den Horror dieser Folge aus: Es war etwas ZU nachvollziehbar, zu nahe an unserer Realität, nur eben auf die Spitze getrieben.
Ingrid goes West geht in seinen besten Momenten in eine ähnliche Richtung. Gerade zu Beginn, nachdem Ingrid aus der Psychiatrie entlassen wird und Taylor auf Instagram entdeckt. Die Art, wie sie sich auf ihr neues Opfer einschießt, wie sie jedes einzelne Foto liked, wie sie sich mit jedem Aspekt von Taylors Leben identifiziert und verzweifelt ein Teil davon sein will…das ist sehr realitätsnah und man muss als Zuschauer selbst kein Instagram-Star sein, um leicht verstört zu sein. Einzelne Szenen schaffen eine unbequeme Atmosphäre – und das ist absolut als Kompliment gemeint. In diesen Momenten ist der Film mehr Psychothriller als Komödie.
Leider ziehen Ingrid goes West und Regisseur Matt Spicer das nie so richtig durch und ab der Mitte verliert der Film deutlich an Fokus. Die Szenen mit dem Vermieter sind eher in der Kategorie seichte Indie-Komödie angesiedelt und auch wenn Plazas und Olsens Figuren im Laufe des Films nuancierter und sympathischer werden, verliert die Handlung doch entschieden an Tempo und Spannung. Die witzigen Momente fallen etwas flach, ein Erpresser-Subplot kommt mit einer zusätzlichen Figur etwas aus dem Nichts und alles in allem läuft der Plot um Ingrid und Taylor auf ein etwas vorhersehbares Ende hinaus.
Und das ist schade, denn es war so viel Potential vorhanden. Durchweg unterhaltsam ist er nach wie vor. Aber der Film bleibt zu seicht und inkonsequent. Ich kann verstehen, dass man den Film nicht allzu düster geraten lassen wollte, aber das Ende bemüht sich um ein schwarzhumoriges Schlussstatement, das die Handlung davor sich nicht ausreichend erarbeitet und „verdient“ hat. Zudem scheint Matt Spicer nicht viel von Andeutungen und Subtilität zu halten und Ingrid goes West leidet etwas unter seinem Bedürfnis, Hintergründe und Motivationen so deutlich wie möglich zu erklären, was völlig unnötig ist, denn seine Schauspieler sind gut genug, dass das auch so klar genug wird.
Trotz all diesen Kritiken ist Ingrid goes West durchaus zu empfehlen, vor allem wegen Aubrey Plaza und Elizabeth Olsen. Die beiden Schauspielerinnen haben ihre Figuren exakt verstanden und spielen absolut fantastisch. Es ist nur schade, dass der Film unter seinen Möglichkeiten bleibt, denn die Zutaten sind da: Durch das Internet machen wir uns selbst größtenteils freiwillig zu gläsernen Menschen und das bringt Gefahren mit sich. Viele, die das hier lesen, werden in irgendeiner Form schon mal eine Ingrid getroffen oder zumindest von ihr gehört haben. Und das Bedürfnis, dazuzugehören, egal um welchen Preis, ist ein menschliches und großartiger Thriller-Stoff. Vielleicht beim nächsten Mal.
Also, Ende gut, alles gut, oder, Frau Plaza?
Was soll das heißen, die Polizei ist auf dem Weg?
Disclaimer: Wir haben ein Rezensionsexeplar der DVD von S&L Medianetworx GmbH erhalten.
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