Iron Sky: Renate und die Mondnazis
In Iron Sky: Renate und die Mondnazis erzählt Johanna Sinisalo die Geschichte von Iron Sky aus der Perspektive der Hauptfigur Renate Richter.
Auf der braunen Seite des Mondes
Renate wächst unter Nazis auf. Ihr Vater ist ein Nazi-Wissenschaftler, ihre Mutter arbeitet in der Nazi-Nachrichtenzentrale, Renate geht auf eine Nazi-Schule und verehrt den Führer. Renate ist 1995 geboren. Und zwar auf der dunklen Seite des Mondes.
Das ist kein seltsamer Ortsname aus Mecklenburg oder Argentinien, in Iron Sky haben Nazis mit Hilfe der aus diversen Verschwörungstheorien bekannten Reichsflugscheiben eine Mondkolonie errichtet und warten auf den Tag, an dem sie zur Erde zurückkehren und endlich den ganzen Planeten erobern können.
Kot für den Führer
Sinisalo schildert zu Beginn ihres Buches die Lebensverhältnisse in der Hakenkreuzfestung auf dem Mond. So gibt es künstliche Schwerkraft, damit bei der geplanten Rückkehr zur Erde keine Schwächlinge mit atrophierten Muskeln die Herrschaft übernehmen sondern stolze Herrenmenschen. Ansonsten herrscht aber Mangel, sämtliche Rohstoffe werden aus Hanf, Grünkohl und Chlorella-Algen gewonnen und jeder Abfall wird wiederverwertet.
„Wenn ihr also in unsere gemeinsamen Urinale und Donnerbalken-Kammern geht, um die Schlackenstoffe aus eurem Organismus zu entfernen, erweist ihr dem Nationalsozialismus einen Dienst und bietet dem Heiligen Hitler persönlich ein Opfer dar – jeder von uns schenkt mit seinem Harn und seinem Kot den anderen Atemluft und Nahrung!“
Iron Sky: Renate und die Mondnazis
Renate ist wissbegieriger als die anderen Kinder, aber nicht so aufgeweckt, dass sie die NS-Ideologie in Frage stellt. Sie liest Mikrofilm-Bücher von der Erde, wundert sich über Begriffe wie ‚Käse‘ und ‚Wind‘ in Heidis Lehr- und Wanderjahre, und entdeckt unbekannte Gefühle in sich, wenn sie Filme mit Marlene Dietrich1 sieht.
Der Adler ist gelandet
Natürlich treten früher oder später zwei Männer in Renates Leben: Der ambitionierte Nazi Klaus Adler und James Washington, Astronaut und Fotomodel von der Erde. Adler hat sich Renate schon früh als Lebensgefährtin auserkoren und sorgt dafür, dass sie trotz ihrer Abneigung ihm gegenüber zu seiner Verlobten wird. James landet wie schon im Film mit einer US-amerikanische Mondexpedition – aus Wahlkampfgründen für die US-Präsidentin2 – auf der dunklen Seite des Mondes und wird von den Nazis gefangengenommen.
Wer den Film gesehen hat, weiß auch, was dann passiert: Der Afroamerikaner James wird per Hautbleichung zum Arier gemacht,3 Renate, Klaus und James reisen zur Erde, Klaus und Renate landen aufgrund seltsamer Verstrickungen im Wahlkampf-Team der US-Präsidentin, Krieg zwischen der Erde und dem Mond bricht aus, etc.
Finnish Weird und Nazi-Lügen
Die finnische Autorin Johanna Sinisalo hat Renate und die Mondnazis auf Basis ihres Drehbuchs für Iron Sky geschrieben. Die Filmfassung hatte sich laut ihrer Aussage im Nachwort so sehr von ihrer Version unterschieden, dass sie im Abspann nicht als Drehbuchautorin sondern als Verfasserin der Originalgeschichte aufgeführt werden wollte. Renate und die Mondnazis ist also eigentlich nicht das Buch zum Film sondern das Buch auf der selben Basis wie der Film.
Sinisalo selbst ist eine Vertreterin des Genres Finnish Weird und hat schon unter anderem mit ihren Büchern Finnisches Feuer und Troll – eine Liebesgeschichte bewiesen, dass sie ein Talent für Weltenbau und spannende Erzählungen aus der Sicht ihrer Hauptfiguren hat. Renate und die Mondnazis schließt sich daran an. Bei der Lektüre sehen wir die absurde Welt der Hakenkreuzfestung aus der Sicht einer ihrer indoktrinierten Bewohnerinnen, auch wenn sie das im Rückblick auf ihr Leben erzählt. Wie schon im Film erkennt sie irgendwann, was die Nazis getan haben und dass ihr Leben auf Lügen aufgebaut ist. Dieses Erweckungserlebnis ist allerdings eine eher schwache Szene, die vor allem darin besteht, dass Renate Chaplins Großen Diktator in seiner ganzen Länge sieht.
2012 war Renate und die Mondnazis noch absurd
Insgesamt erweist sich Sinisalo in ihrer Erzählung aber erstaunlich prophetisch. 2012 war der Gedanke, dass eine rechte Witzfigur 4 US-PräsidentIn werden könnte, absurde Satire. Ebenso der Gedanke an rechte Symbolik im Wahlkampf eines westlichen Landes oder eine Rückkehr von Nazi-Argumenten in die öffentliche Debatte. All das ist mittlerweile geschehen.
Und auch wenn Renates Geschichte so oder ähnlich auch von der Generation meiner Großeltern erzählt werden konnte,5 ist sie ein faszinierender Blick in ein von Propaganda eingehegtes Hirn, dass den Nationalsozialismus für eine Ideologie der Vernunft, der Liebe und des Friedens hält. Denn auch wenn wir vor allem harsche Worte im Stil von „Wollt ihr den totalen Krieg?“ oder „Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen“ im Kopf haben, war doch die Stoßrichtung der Nazi-Propaganda immer die Lüge: „Wir wollen Frieden, man lässt uns nur nicht.“ Auch heute noch. Das und der Aufbau einer bizarren Welt auf der Mondrückseite macht Iron Sky – Renate und die Mondnazis zu einem lesenswerten Werk.
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar des Buches vom Tropen-Verlag erhalten.
- Die natürlich auf wenige, ideologisch unbedenkliche Schnipsel beschränkt sind. ↩
- Wie aktuell unter Trump im Gespräch. ↩
- Was natürlich etwas verharmlosend ist. Nazis halten es für unmöglich, ‚Untermenschen‘ zu ändern. Deswegen gab es Konzentrationslager. ↩
- Damals Palin. ↩
- Mit weniger Mondreisen, natürlich. ↩