Michael Kohlhaas (2013)
Wenn sich Menschen im Recht fühlen, kommt es schnell zu unschönen Eskalationen. Autofahrer brüllen sich an, Nachbarinnen sägen Äste ab und am oberen Ende der Skala laufen Menschen Amok. Alles bloß Peanuts für Michael Kohlhaas, den Held jener gleichnamigen Novelle von Heinrich von Kleist, neu verfilmt von Arnaud des Pallières. Wegen der Misshandlungen zweier Pferde stellt Kohlhaas ein Bauernheer zusammen und erklärt einem Junker (im Film einem Baron) den Krieg.
Zumindest fängt es mit den Pferden an. Der Pferdehändler Michael Kohlhaas (stoisch: Mads Mikkelsen) reist im 16. Jahrhundert zum Markt und muss an einem Schlagbaum halten. Dahinter die Männer des hiesigen Barons, er möge doch seinen Passierschein vorzeigen. Kohlhaas hat jedoch keinen und lässt zwei Pferde mitsamt Knecht César (David Bennent) als Pfand zurück. Während Kohlhaas mit dem Gouverneur (altersmilde: Bruno Ganz) Handel treibt, misshandeln die Männer des Barons (schnöselig: Swann Arlaud) die Pferde. Als César eingreift, hetzen sie die Hunde auf ihn. Kohlhaas verklagt den Baron, muss aber bald die Nachteile des Feudalsystems erkennen – niemand gibt ihm Recht. Seine Frau Judith (Delphine Chuillot) will für ihn bei der Prinzessin (Roxane Duran) vorsprechen, die Sache geht ungut aus und alles eskaliert – die Sache mit dem Bauernheer habe ich ja bereits oben erwähnt.
Des Pallières Kohlhaas-Version erinnert oft an einen Western. Mikkelsen als Reiter für die Gerechtigkeit, die schroffe felsige Landschaft der Cevennen und Pferde, immer wieder Pferde. Wir sehen Kämpfe zu Pferd, herausgeputzte Pferde, dreckige Pferde und sogar eine Pferdegeburt. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt in Kohlhaas’ Leben, neben seiner Frau und seiner Tochter Lisbeth (Mélusine Mayance). Seine Frauen und seine Pferde spiegeln die emotionale Seite des stoischen Rebellen wieder. Des Pallières verzichtet darauf, Kohlhaas’ Motivation ausführlich zu erklären, und das ist auch gut so. In einem Hollywoodfilm hätten wir wahrscheinlich unzählige Rückblenden, mit tiefer Stimme vorgetragene innere Monologe und viele, viele Oneliner über Recht und Gerechtigkeit miterleben müssen. Stattdessen kann der Zuschauer nur ahnen, warum Kohlhaas so hartnäckig bleibt. Natürlich gibt es auch Dialoge, sogar Luther (Denis Lavant) diskutiert mit Kohlhaas und versucht ihn von seiner unchristlichen Revolte abzubringen. Aber vieles wird einfach nicht erklärt – Warum verkleidet sich der Gouverneur als Mönch? Welche Rolle spielt die Äbtissin? – und die Zuschauerin muss sich einfach selber einen Reim darauf machen. Das trägt aber einfach zur Aura des Films bei.
Western und Westeros
Dazu gehört auch eine gewisse Zeit- und Ortlosigkeit. Außer der Nähe zum Western hat des Pallières Kohlhaas auch von den Handlungsorten der Novelle, Sachsen und Brandenburg gelöst. Dazu kommen vage altertümliche Kostüme, die aber keiner bestimmten Epoche zuzuordnen sind. So ähnelt die Ästhetik der von Game of Thrones, und auch einige Parallelen zwischen den beiden Prinzipienreitern Eddard Stark und Michael Kohlhaas sind zu erkennen. Nur die latente Adelsbesoffenheit von George R. R. Martin fehlt, aber der störrische Rosshändler ist ja auch ein bürgerlicher Held. Und auch wenn Michael Kohlhaas weniger Nacktszenen als die HBO-Serie aufweist, ganz ohne kommt der Film natürlich nicht aus – es ist immer noch ein französischer Streifen!
Kurz geschrieben: Hervorragende Schauspieler, tolle Landschaften, ein bisschen arty, manchmal langatmig, manchmal brutal und ein toller Soundtrack von Les Witches. Gut investierte 13 Euro. Zu lesen gibt es die Originalnovelle beim Projekt Gutenberg.
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar der DVD-Box von der Polyband Medien GmbH erhalten.