MotherFatherSon
Chipstüte auf und dann wollen wir mal. Wäre doch gelacht. Ich muss allerdings gestehen, dass dies mein dritter Anlauf ist, die Sache tapfer durchzustehen. Ich habe schon die schlimmsten Spaßbremsen von Rainer Werner Fassbinder überlebt, mir Ingmar Bergmanns Schweigen bis Minute 87 (von 95) reingezogen, sogar bei Francis Durbridge nie gebockt und bei Bud Spencer immer brav gewartet, bis er Terence Hill eins auf die Glocke gehauen hat. Aber jetzt das.
Serien gibt es ja seit Fernsehgedenken. In der Regel kommen sie aus Amerika. In der Regel sind sie für geistige Tiefflieger gestrickt, was schon in diesem seltsamen Satz zum Schwingen kommt: „Ich gucke Serien.“ Warum schaut man eine Sache der Form wegen an, wenn diese Form per Definition Fließbandware ist? Stellte sich dann aber die Frage, ob Kinosaurier Richard Gere eine Antwort liefern könnte und warum er wohl für MotherFatherSon mit seiner persönlichen Serie gebrochen hat. Immerhin war ihm nach seiner Nebenrolle 1976 in Kojak nicht mehr nach Fernsehen zumute. Das Drehbuch habe ihn geködert, sagt Gere, klingt dann aber unaufgeregt: Es werde wohl sein letzter TV-Einsatz sein. Dreharbeiten über sechs Monate hinweg, in denen ihm immer dieser eine Charakter im Nacken gesessen habe, das sei schlichtweg zu ermüdend gewesen. So etwas spiegelte sich bei der BBC in den Einschaltquoten. Nach einem Start im März 2019 mit 4,5 Mio. Zuschauern lockte die abschließende Episode 8 nur noch 2 Mio. Briten aus der Reserve. Die wegknickenden Zahlen sollten nicht weiter verwundern, denn die erste Folge – mit einem Jahr Verzögerung nun auch in Deutschland serviert – hat Baldrianqualitäten.
Dramen kommen in den besten Familien vor, heißt es. Wer kann da schon mitreden, denn so eine Hypersippschaft wie das Haus Finch kennen Hinz und Kunz nur vom Hörensagen. Damit hätten wir schon mal das Grundrauschen von Kaugummiserien wie Dallas und Denver. In der BBC-Schmonzette ist Patriarch Max Finch ein Medienmogul mit Privatjet, so eine Art Berlusconi für Traumtänzer. Man muss schon weit an der Realität vorbeischielen, um Medienmacht noch so wahrzunehmen. Gleichwohl tigert Max klischee-verkleistert durch einen milliardenschweren Glaspalast, in dem sein Sohn Caden (Billy Howle) eine Zeitung lenkt.
Schauen wir Episode 1 so, wie man es nie tun würde: in Abschnitten von je fünf Minuten. Beim ersten Stopp wissen wir durch das wiederkehrende Telefonflehen „komm nach Hause“, dass jemand verschwunden ist. Wir wissen, dass Max stinkereich ist. Dass sein Sohn wie irre joggt. Und exakt bei Minute 5 zieht er sich Koks in die Nase. Nach weiteren fünf Minuten hat eine altgediente Journalistin die Redaktion verlassen, bevor Max den Premierminister durch die Hintertür aufsucht. Randnotiz: Der Premierminister ist schwarz. Von Walpole bis Johnson hat es das nicht gegeben. Wo ist die Botschaft?
Weitere fünf Minuten ziehen ins Land. Max hat mit dem Premier über Shortbread geplaudert. Seine Ex teilt Essen an Bedürftige aus und nimmt Tuchfühlung mit einem Obdachlosen auf. Ein Mann, der diese „komm nach Hause“-Nachrichten abhört, wird mit einer Drahtschlinge gemeuchelt. Und der Sohnemann schnupft sich noch eine Nase. Soweit alles im Lot, aber wirr. Über die nächsten zehn Minuten kommt Ruhe rein, um nicht Langeweile zu sagen. Sohn und Mutter Finch treffen sich zum Lunch in steifer Atmosphäre und gehen ein paar Bilder der Vergangenheit durch. Die Handlung schleicht aus, Max übt sich als Übervater, vor dem man nur scheitern kann. Es braucht eine Liebesszene und noch mehr Koks, bis klar ist, dass Caden einen Sprung in der Schüssel hat. Gepflegt fährt er seinen Maserati zu Mus, pieselt sich im Fahrstuhl in die Hose und landet mit einem Schlaganfall im Operationssaal. Die erste Episode ist vorbei, aber man hat gerade noch das Vergnügen, sich einen Schnitt durch Cadens Schädel zum Gehirn anschauen zu dürfen.
Damit sind Fragezeichen ausgelegt. Das wichtigste davon: Werden sie ausreichen, um die Serie über sieben weitere Episoden zu tragen? Kaum anzunehmen, aber falls es mal hakt, muss man ja nur ein weiteres Mysterium einbetten, um dem Schwungrad Fahrt zu verleihen. Durchsichtige Tricks, wirre Verstrickungen, klischeehafte Figuren – eines ist klar: Es gibt gute Gründe, eine Sache der Form wegen eben nicht anzuschauen.
Und doch
Weil es der Teufel so will, kreist die Erwartungshaltung um Richard Gere, der zum Ende hin wahrlich so wirkt, als sei er fertig mit der Rolle und den Nerven. Das lenkt leider enorm ab von Billy Howle. Der junge Mann hat nicht nur einen drogenabhängigen Schweinehund zu spielen, sondern auch einen Menschen, der in der Blüte seiner Jahre vom Schlaganfall niedergestreckt wird, gebeutelt von Lähmungen und Sprachbehinderung, der sich mit eiserner Kraft wieder aufrappelt, der als Novum im Leben eine aussichtslose Liebe erfährt und der Welt zu beichten hat, dass er eine gruselige Vorgeschichte hatte. Ein gewaltiges Paket, das schauspielerische Höchstleistung abverlangt. Es nervt, ja, tatsächlich, es nervt enorm, dass man ihn in der Rekonvaleszenz wegen seiner Teillähmung nur mit Mühe versteht. Aber auch das ist Teil der anspruchsvollen Rolle und zugleich ein Aufruf, die eigene Haltung zu Behinderten zu überdenken. Keine Frage: Howles Leistung liefert den besten Grund, die Serie doch bis zum Ende anzuschauen.
Fischpott-Disclaimer: Wir haben ein Rezensionsexemplar der DVD von der Polyband Medien GmbH erhalten.