Tully
Drama über die lebensverändernde Energie, die eine Nacht-Nanny in den Haushalt einer Dreifach-Mama bringt, die am Rande eines Nervenzusammenbruchs steht.
Ich will nicht, dass eine fremde Nanny mein Baby knuddelt
Marlo (Charlize Theron) ist Ende Dreißig, bekommt ihr drittes Kind und versinkt im Chaos. Ihr Mann Drew (Ron Livingston) arbeitet die ganze Zeit und wundert sich über die abendliche Tiefkühlpizza. Dabei hat Marlo abends einfach keine Kraft mehr, um ein ausgefallenes Essen zu zaubern. Ihre größere Tochter ist zwar recht eigenständig und unabhängig, dafür braucht der Sohn ihre volle Aufmerksamkeit. Er hat Angst vor alltäglichen Geräuschen, bekommt regelmäßig Wutanfälle und wird in der Vorschule als Problemkind behandelt. Nun sollen die Eltern einen eigenen Erzieher organisieren und sogar bezahlen.
Als Marlo es eines Tages vor Erschöpfung nicht mehr aushält, entscheidet sie sich, das Angebot ihres reichen Bruders (Mark Duplass) anzunehmen, ihr eine Nacht-Nanny zu spendieren. Dieser macht sich große Sorgen, dass seine Schwester wie beim letzten Kind eine Postnatale Depression erleidet.
Mami, wie siehst du denn aus?
Tatsächlich steht abends Tully (Mackenzie Davis) vor der Tür. Die quirlige und aufgeweckte junge Frau kümmert sich liebevoll um das Baby während Marlo nach langer Zeit wieder einmal tief schlafen kann.
Doch Tully will nicht nur mit dem Baby helfen, sie will ganzheitlich für Marlo da sein. Nach und nach fangen die Frauen an, sich einander zu öffnen, Gedanken und Erfahrungen auszutauschen und sogar die Abende miteinander zu verbringen. Marlo entdeckt ihre Lebensfreude wieder und hat zwischendurch das Gefühl „endlich wieder in Farbe sehen“ zu können.
Bis Tully eines Abends verkündet, sie könne nicht mehr für Marlo da sein und für diese buchstäblich eine Welt zusammenbricht.
Oh, das ist Milch. Muttermilch.
Mit dem Film Tully ist Regisseur Jason Reitman (Juno) ein kleines Meisterwerk gelungen, in dem Charlize Theron wieder einmal ihr Ausnahmetalent unter Beweis stellt. Das Buch von Oscar-Preisträgerin Cody Diablo (Juno, United States of Tara) scheut sich nicht davor zurück Charaktere mit Fehlern und Makeln zu zeigen und Themen anzusprechen, die im Mainstream-Kino gerne ausgespart oder nur am Rande behandelt werden. Denn Postnatale Depressionen kommen zwar sehr häufig vor, werden aber weitestgehend ignoriert, nicht nur im Film, sondern von der Gesellschaft allgemein. Dabei entwickeln rund 10 bis 15 Prozent der Gebärenden nach der Geburt eine solche Erkrankung. Diese kann sich, wie im Film gezeigt, unbehandelt sogar zu einer Psychose ausweiten.
Ich wollte dich einfach durch die Gefahrenzone bringen
Hier liegt wohlgemerkt der einzige Wermutstropfen von Tully. Das Ende bietet zwar eine vermeintliche Lösung des Problems, gleichzeitig bleibt es sehr schwammig. Die US-Amerikaner*innen mögen happy endings in jeglicher Form und opfern hierfür auch gerne mal die Chance eines ehrlichen Ausgangs. Zu schnell ist alles wieder gut, der Papa muss nur etwas helfen. Das ist zwar schön und richtig, aber nicht der Kern des Problems. Hier hätte man wirklich einmal noch tiefer gehen und ein wenig Aufklärungsarbeit leisten können.
Das auf der DVD enthaltene Featurette von circa 10 Minuten schneidet die Thematik ebenfalls an, übt sich jedoch ansonsten in Friede, Freude, Heiterkeit und Lobeshymnen für Alle. Ganz nett, aber zu vernachlässigen.
Kurz gesagt: Tully ist ein wichtiger und bemerkenswerter Film, dem am Schluss der Tiefgang flöten geht, um es den Zuschauenden doch noch angenehm zu machen. Anschauen lohnt sich trotzdem.