Widerstand ist nicht zwecklos
Black*Out / Hide*Out / Time*Out
von Andreas Eschbach
Christopher Kidd ist 17 und hat einen Chip im Hirn. Weil er diesen Chip unbedingt wieder loswerden will, reist der Sohn einer deutschen Mutter und eines britischen Vaters in die USA. Dort hofft er, den Neurochirurgen Dr. Connery zu treffen, der ihm dieses Ding wieder herausoperieren soll. Doch der Arzt ist zusammen mit dem Aussteiger Jeremiah Jones untergetaucht. Als vermeintliche Terroristen stehen sie ganz oben auf der Fahndungsliste des FBI. Christopher wendet sich an die gleichaltrige Serenity Jones und ihren älteren Bruder Kyle, die ihn zum Versteck ihres Vaters bringen sollen. So beginnt die Jugendbuch-Trilogie von Andreas Eschbach, deren letzter Teil Time*Out jüngst als Taschenbuch erschienen ist.
Der genialste Hacker der Welt
Christopher Kidd ist nicht nur 17 und hat einen Chip im Hirn. Christopher Kidd ist auch der wohl beste und auf jeden Fall berühmteste Hacker der Welt: Im zarten Alter von 13 hatte er jedem Bankkonto-Inhaber auf dem Planeten eine Milliarde Dollar überwiesen und damit das Finanzsystem tagelang lahmgelegt. Getan hatte er dies nicht aus Jux und Dollerei, sondern um seine Familie vor dem sicheren Ruin zu bewahren. Seiner Mutter, einer Investmentbankerin, war ein schwerwiegender Fehler unterlaufen, für den sie dank eines neuen Arbeitsvertrages mit eigenem Vermögen hätte haften müssen. Davon wären auch die bürgenden Großeltern betroffen gewesen, hätte sich ihr Enkel – diesmal tatsächlich aus Jux und Dollerei – nicht zuvor bereits durch alle wesentlichen Unterlagen der Bank-IT gelesen. Dabei waren ihm, der das Programmieren dank seines Vaters seit frühester Jugend beherrscht, eklatante Lücken im System aufgefallen. Eine Kenntnis, die er sich nun für seinen Hack zunutze gemacht hatte. Dass er dabei auffliegen würde, war durchaus Teil des Plans gewesen: Als 13jähriger war er noch nicht strafmündig, und letztlich ging es ihm nur darum, dass die Bank alle Systeme auf einen Zeitpunkt vor dem Fehler seiner Mutter zurückstellen musste. Natürlich verlor sie daraufhin ihren Job. Und für Christopher selbst bedeutete dieser Hack fortan die zweifelhafte Berühmtheit als Computer*Kid.
Es lebe der Superlativ
Diese Geschichte – grundlegend für alle weiteren Geschichten und Ereignisse – sagt viel über die vorliegende Trilogie aus: Leute, sagt sie, ihr benutzt vielleicht Computer Tag für Tag, aber ihr habt nicht die geringste Ahnung, was ihr da eigentlich benutzt. Ihr habt keinerlei Vorstellung davon, wie es funktioniert. Und ganz sicher ist es nicht annähernd so sicher, wie ihr euch das vielleicht wünscht. Immerhin arbeiten in der Bank-IT nicht nur Deppen, und diese Experten hielten ihr System für sicher. Nie hätten sie vermutet, einer könnte kommen und alles auf den Kopf stellen – schon erst recht kein 13jähriger! Dass sein jugendlicher Held bei seinem genialen Hack nicht kleckert, sondern klotzt, ist dabei mal wieder so Eschbach, wie Eschbach nur sein kann – oder einfach nur eine Anspielung auf seine Eine Billion Dollar. Mit Superlativen spielt der Schriftsteller ohnehin immer wieder gerne. Wichtiger jedoch scheint dem gelernten Programmierer hier zu sein, sich bei aller Begeisterung für IT zumindest einen Rest Skepsis zu bewahren. Und sich immer wieder die Frage zu stellen, wie viel selbständiges Denken wir uns erhalten wollen.
Kohärenz bedeutet Zusammenhang
Dreh und Angelpunkt der Trilogie ist jedenfalls nicht das Sicherheitsverständnis von Banken, sondern der Chip in Christophers Hirn, an dessen Entwicklung er zusammen mit seinem Vater und dem Neurochirurgen Stephen Connery mitgearbeitet hatte. Eigentlich ging es nur darum, eine Art verbesserte Prothese zu erschaffen. Nachdem seine Großmutter erblindet war, wollten sie ihr das Sehen zurückgeben. Doch der Chip geriet in falsche Hände, die ihn weiterentwickelten und zur Grundlage einer neuen Art der Vernetzung machten: Einmal in den Bereich des Riechnervs im Großhirn eingebracht, ermöglicht er dem Träger – nach einigen Tagen der physiologischen Anpassung – via Mobilfunk nicht nur das Einklinken ins Internet. Er sorgt auch dafür, dass er mit allen anderen Chipträgern zu einer Einheit verschmilzt, der Kohärenz. Dass damit der Verlust der eigenen Identität, der eigenen Persönlichkeit einhergeht, realisiert in der Folge bestenfalls nur die Umwelt des Chipträgers. Es sei denn, dieser Upgrader bekommt wie Christopher einen defekten Chip eingepflanzt. Im Gegensatz zu allen anderen Upgradern kann Christopher seinen Chip kontrollieren und somit nur bei Bedarf von dem unvorstellbar großen Erfahrungs-, Kenntnis- und Informationsaufkommen der in allen Belangen so überlegenen Kohärenz profitieren. Das gefällt diesem Kollektiv natürlich gar nicht, weshalb der berühmteste Hacker der Welt nun zum meistgesuchten Jungen der Welt wird.
Die Borg lassen grüßen
Star Trek Fans unter uns fühlen sich spätestens jetzt natürlich direkt an die Borg erinnert. Sollte es tatsächlich jemanden geben, der bei dem Namen nur an Tennisspieler denkt, dem sei erklärt: Auch die Borg sind ein Kollektiv, das im Gleichklang lebt, mit einer Stimme spricht und intelligente Lebewesen genauso assimiliert wie deren Technologie. »Widerstand ist zwecklos« pflegen sie dem Individuum zu verkünden, bevor sie ihm durch ein Röhrchen Nanosonden implantieren, die in der Folge aus dem Organismus einen Cyborg machen. So groß die sicherlich gewollte Ähnlichkeit ist, so groß sind auch die Unterschiede. Upgrader sehen jedenfalls nicht anders aus als andere Menschen; selbst anhand ihres Verhaltens lassen sie sich nur auf den zweiten Blick identifizieren – und dann ist es meist schon zu spät: Sprechen sie erst einmal mit einer Stimme, ist der eigene Kopf im Allgemein schon mit Gurten festgeschnallt. Schließlich sollte man nicht zucken, wenn man eine pistolenähnliche Gerätschaft in der Nase stecken hat, die einem ein Loch ins Hirn bohrt. Allein das macht die Kohärenz fast noch erschreckender als ihre außerirdischen Kollegen aus dem Star Trek Universum. Dennoch spielt Andreas Eschbach immer wieder mit dem Gedanken, ob so ein Kollektiv nicht auch seine Vorteile hat. Immerhin steht man fortan nicht länger alleine mit seinen Problemen da. Gefühle der Einsamkeit und Erleben von Schmerz gehören der Vergangenheit an. Vielleicht, so zeichnet er das Bild, ist die Entwicklung eines solchen Kollektivs sogar unabwendbar. Was es aber tatsächlich bedeutet, ein Upgrader zu sein, kann nur einer sagen, der der Kohärenz einst angehörte. Oder wie Christopher zumindest einen Einblick hat.
Wider dem globalisierten Technologiewahn
Diesen Einblick zu vermitteln gestaltet sich für Christopher jedoch schwierig. Bei Jeremiah Jones stößt er zudem auf einen, der grundsätzliche Probleme mit dem globalisierten Technologiewahn hat. Einst Buchautor, der seine Leser immer wieder daran erinnern wollte, dass es auch noch ein Leben fern des Computers und des Mobiltelefons gibt, lebte er zwischenzeitlich in einer Art Aussteiger-Kommune und pflegte das naturverbundene Leben. Nun als Herbergsvater eines von der Kohärenz gesuchten Neurochirurgen zieht er mit seiner naturliebenden Gefolgschaft von Camp zu Camp. Immer in der Angst, vom nächsten vorbeiziehenden Überwachungssatelliten entdeckt und für Verbrechen verhaftet zu werden, die er nicht begangen hat. Zum Beispiel die Sprengung mehrerer Rechenzentren mitsamt ihrer hausinternen Mitarbeiter-Kindergärten. Unter dem Druck, mit seiner Lebensphilosophie gegen die Übermacht der Kohärenz nicht viel ausrichten zu können, entwickelt Jeremiah Jones gar despotische Tendenzen. Wenn so einem nun ComputerKid verständlich zu machen versucht, dass es auf lange Sicht kein Entrinnen vor der Kohärenz gibt, spielt Andreas Eschbach damit, wie schwer es ist, Nicht-Computermenschen die Funktionsweise von IT zu erklären. So führt uns Eschbach an Probleme heran, die wir gar nicht als solche erkannt hätten, und entkräftet vermeintliche Lösungsansätze, die uns auf den ersten Blick sinnvoll erschienen waren. Die Lösungen, die er schließlich liefert, sind – zumindest im Rahmen der Fiktion – logisch, schlüssig und clever – und wirken sehr erhellend.
FSK 14 bis 17 – oder doch besser FSK 14 bis tot?
Black*Out / Hide*Out / Time*Out ist eine Trilogie für Jugendliche zwischen 14 und 17. So zumindest findet man sie in Buchhandlungen. Weit gefehlt, sage ich. Ich behaupte, diese Trilogie sollte wirklich jeder jeden Alters lesen. Und vor allem sollten Jünger der Computerisierung einen verschärften Blick darauf werfen. All jene, die glauben, sie bräuchten immer und überall die neueste technische Errungenschaft für die Glückseligkeit. Die meinen, ohne Nutzung jedes neuen Digitalangebotes sei ihr Leben wertlos. Die wahrscheinlich auch bereit wären, für den Lifehook (die vermeintliche Lightversion des Chips) von FriendWeb-Gründer John Salzmann sogar noch zu bezahlen, ob nun als Vorreiter oder als Mitläufer. Oder weil es für den Einzelnen durchaus gute Gründe geben kann für eine solche krasse Art der Vernetzung. Der Kohärenz allerdings sind diese Gründe egal. Individuelle Bedürfnisse sind nicht Teil ihres Konzeptes. So ermuntert Andreas Eschbach dazu, beizeiten mal anzuhalten, Luft zu holen und sich zu fragen, was man vom Leben wirklich will. Denn letztlich geht es doch immer wieder um die Frage, wer hier eigentlich wem dient: die Technik uns – oder wir der Technik.
Man kann die Trilogie allerdings auch ohne große Lernbereitschaft genießen: Actionszenen, viel Roadtrip, ein wenig Teenager-Liebe und reichlich Thrill werden hier frei Haus mitgeliefert und sorgen für sehr vergnügliche und kurzweilige Lesestunden.