Die Geburt der mediterranen Welt
Vom Faustkeil zur Trireme
Das Mittelmeer ist ein Ort, der die Geschichte der Welt entscheidend geprägt hat. Kein Wunder also, dass der Archäologe Cyprian Broodbank1 in seinem Buch Die Geburt der mediterranen Welt fast tausend Seiten mit dem Entstehen dieser Keimzelle der Weltgeschichte füllt.
Die Geschichtswissenschaften sind wie ein Fenster, durch das wir die Vergangenheit betrachten können. Je länger Ereignisse vorbei sind, um so kleiner, zerkratzter und schmutziger wird dieses Fenster, bis nur noch mühsam Umrisse zu erkennen sind, die vielfachen Interpretationsraum zulassen. Um so erstaunlicher finde ich es persönlich, wenn die Archäologie uns vergangene Gesellschaften lebendig und anschaulich schildert, ohne den Zweifel der Unschärfe zu verschweigen. Dieses Kunstwerk schafft Broodbank mit seinem Werk Die Geburt der mediterranen Welt und er schafft es sehr souverän.
Ein Wal von einem Buch
Dabei ist seine Geschichte der mediterranen Vorgeschichte nichts für Freundinnen schnell durchgelesener Bücher. Ein wahrer Buch-Wal von 950 Seiten und einem Gewicht von knapp zwei Kilogramm.2 Aber, und das ist das Wichtige, keineswegs langatmig. Dabei geht Broodbank gewissenhaft und genau vor. Als Fundament seines Werkes beginnt er mit den ökologischen und geographischen Besonderheiten des Mittelmeers, von seinem Reichtum an Buchten über seine Tektonik bis zu seiner Biodiversität und wie diese das menschliche Leben geprägt haben. Dann geht der Autor mit dem Lesepublikum auf eine Reise durch die Jahrtausende.
Belegt mit Funden und Fußnoten zeichnet Broodbank Kapitel für Kapital lebendige, detailreiche Bilder der jeweiligen Gesellschaften. Neandertaler, die sich entlang des Mittelmeers ausgebreitet haben und eine Schwäche für Schildkrötenfleisch hatten. Die Menschen, die zwischen dem 5. und 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung so massenhaft Kilia-Marmorfiguren hergestellt haben, dass sie 900 misslungene einfach weggeworfen haben. Das assyrische Reich, das 800 v. u. Z. seine Vasallenstaaten zu fast schon industrieller Massenherstellung und zu Monokulturen gezwungen hat. Die Inselstadt Mozia, in deren Werkstätten Purpurschnecken auf den Wirbelknochen von Pottwalen zerstoßen wurden.
Kleine Welt Mittelmeer
Nach und nach werden wir so die Zeugen eines stetigen Wandels, der aber natürlich auch immer wieder Kontinuitäten aufweist. Eine Globalisierung im Kleinen, die aus einer stark fragmentierten Region eine stark verbundene gemacht hat, in der Imperien ebenso aufsteigen und fallen wie Religionen. Dabei lässt Broodbank auch immer offene Fragen und Zweifel zu, wie in jedem wissenschaftlichen Werk steht alles steht im Zeichen des „Sofern unsere Erkenntnisse stimmen …“
Vor allem versucht Broodbank – Spoiler: Ich denke, er schafft das auch recht gut – das Fenster in die Vergangenheit von ideologischen Verunreinigungen der vergangenen Jahrhunderte, die Hochkulturen ebenso erfunden haben wie Barbarenvölker zu befreien. Ein ehrenwertes Vorgehen, insbesondere heutzutage, wenn aktuelle politische Probleme mit angeblich jahrtausendealten kulturellen Unterschiede erklärt werden.
Insgesamt zeigt Die Geburt der mediterranen Welt wie es vor den sieben Weltwundern im und am Mittelmeer aussah. Es ist ein umfangreiches, lesenswertes, mitunter spannendes Werk über die Ur- und Frühgeschichte einer Region, die unsere Welt grundlegend geprägt hat.
Fischpott-Disclaimer: Wir haben ein Rezensionsexemplar vom C. H. Beck Verlag erhalten.