Ein neuer Blick auf „Daniel der Zauberer“
Gedanken über Trashfilme, Spott, Respekt und Daniel Küblböck – und ob man weiter über einen der besten schlechten Filme aller Zeiten lachen sollte.
Warum es so schwer ist, über diesen Film zu schreiben, lässt sich mit dem folgenden Zitat recht gut zusammenfassen.
„Du brauchst doch keine Angst zu haben, Daniel, hm? Sag mal, du kannst doch träumen, hm? Fang einfach an zu träumen. Der Rest, der ergibt sich von selbst.“
Besonders spektakulär klingt das nicht, oder? Ohne Kontext könnten diese Zeilen aus jedem x-beliebigen Kinderfilm stammen. Oder aus einem schlecht geschriebenen Inception-Verschnitt. Diese Sätze einfach nur zu lesen oder gesagt zu bekommen, kann allerdings nicht dem Kontext, in dem sie gesagt wurden, gerecht werden. Ein Bild sagt immerhin meist mehr aus als 1000 Worte …
Willkommen zu Daniel der Zauberer.
Was? Nee, ernsthaft, was???
Daniel der Zauberer ist objektiv betrachtet kein guter Film. Regisseur Ulli Lommel hatte versucht, das damalige Phänomen Daniel Küblböck, Teilnehmer der ersten Staffel der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“, zu verstehen und zu erklären. Warum dieser junge, talentierte Mann aus Eggenfelden so polarisierte, warum er auf der einen Seite so gefeiert, auf der anderen Seite aber so intensiv gehasst wurde. Liest sich auf dem Papier wie ein gut gemeinter, konventioneller ZDF-Fernsehfilm am Vorabend, den man bereits beim Gucken wieder vergisst.
Doch bereits die Tagline im bizarren Trailer lässt erahnen, dass mehr dahinter steckt: „Die Geschichte eines jungen Mannes, der auszog, das Fürchten zu lernen, und mitten im Winter entdeckte, dass in ihm ein unbesiegbarer Sommer war.“ Genauso ist die Inszenierung des Films: Zuckersüß bis zur Instant-Diabetes, durchflutet von einer kitschigen Magie, alles todernst gemeint und gerade dadurch umso unfreiwillig komischer.
Denn ernst nehmen kann man hier nichts. Schon die pinken 3D Clipart-Credits und die Las Vegas-Dudelmusik, die irgendwann in einen schlechten „Also sprach Zarathrustra“-Verschnitt übergeht, versprechen Großes. Anschließend der Plot, in dem zwei vom Leben frustrierte Teenager versuchen, Superstar Daniel umzubringen, sich aber seiner positiven Energie einfach nicht entziehen können und anschließend, ebenso wie der grantige Daniel-Hasser Opa Winter, im Laufe des Films zu Küblböck-Fans mutieren.
„Der Film ist einfach unfassbar schlecht“, ist ein Tenor, auf den sich ein Großteil der Kritiken und Abhandlungen beschränken. Daniel der Zauberer bekam sogar sein eigenes Spotlight bei der Tele5-Show schleFaZ, in der sich Oliver Kalkofe und Peter Rütten die titelgebenden „schlechtesten Filme aller Zeiten“ ansehen und sich in bester MST3K-Tradition darüber lustig machen. Und das ist eine Art, den Film zu sehen. Als „einfach nur schlecht“. Aber das wird dem Film einfach nicht gerecht.
Du bist krank, David!
Es ist Zeit für ein Geständnis: Ich habe Daniel der Zauberer rund 20 Mal gesehen. Von Anfang bis Ende. Einige Kumpel von mir sogar noch häufiger. Immer in unterschiedlichen Gruppen, oft unter Zugabe bewusstseinstrübender Kaltgetränke. Der Film faszinierte uns in einem Maße, wie es keinem anderen der vielen Trashfilme, die wir so zu konsumieren pflegten, gelang. Es war diese absolute Undurchdringlichkeit dieses eigentlich so simplen Filmes. Es war die gesamte Inszenierung. Es waren die bizarren übernatürlichen Elemente. Es war die Szene, in der Daniels Bruder dem Star auf einer Autofahrt völlig aus dem Nichts eröffnet: „Du, ich hab was mit dir zu besprechen…Hollywood hat sich gemeldet, die wollen mit dir einen Screentest machen. Und auch Las Vegas hat sich für dich interessiert.“ Es waren Bilder wie dieses:
Daniel der Zauberer löste in meinem Freundeskreis eine wahre Ulli Lommel-Obsession aus. Denn die Qualität des Films ging weit über „einfach nur schlecht“ hinaus. Wir wollten wissen: Wer ist Ulli Lommel? Wo kommt das her? Sind alle seine Filme so bizarr? Jedes Jahr kamen wir an meinem Geburtstag zusammen, um den traditionellen Trashfilmabend mit einem neuen Ulli Lommel-Film zu krönen, natürlich ganz am Ende, nur für die besonders Hartgesottenen.
Schnell stellten wir fest, dass nichts in Ulli Lommels Oeuvre an Daniel herankommt, zumindest was den Unterhaltungswert angeht. Gerade in den letzten Jahren drehte Lommel in Amerika einen Direct-to-DVD-Horrorfilm nach dem anderen. Werke wie Zombie Nation, The Raven, Zodiac Killer, Green River Killer, Dungeon Girl…okay okay, ich hör ja schon auf…sind mit Bezeichnung C-Filme noch ein paar Buchstaben zu hoch im Alphabet angesetzt. Billig produziert, teilweise Camcorder-Qualität, Kulissen auf dem Level eines Schultheaterstücks, absolute Nonsens-Stories, dazu absolut unterirdische Dialoge lustlos eingesprochen von Schauspielern, die es kaum erwarten können, endlich nach Hause zu gehen. Der Großteil der Reaktionen beim Ansehen eines dieser Filme war weniger von lautem Gelächter geprägt als vielmehr von einem allgemeinen, 90 Minuten andauernden „Hä??“, aufgelockert durch das eine oder andere „Was???“
Natürlich sind diese Filme nicht alles, was Ulli Lommel als Künstler ausmachen (der Mann ist immerhin Fassbinder-Alumnus und hatte gerade in seinem Frühwerk mit renommierten Künstlern wie Klaus Kinski oder Andy Warhol zusammengearbeitet), aber sie machen nun mal einen Großteil seines Gesamtwerkes rund um Daniel der Zauberer aus. Und die Magie von Daniel der Zauberer erreichte keiner dieser Filme. Sie wirken lustlos, am Fließband produziert, zwar mit einer ähnlichen Abwesenheit von erzählerischer Logik, aber ohne den entsprechenden Enthusiasmus.
Daniel der Zauberer war und ist einzigartig. Ob das nun etwas Positives oder etwas Negatives ist, hängt von der Betrachtungsweise ab. Ich jedenfalls kann dem Film bis heute bei jedem Ansehen etwas Neues abgewinnen. Nicht zu vergessen, dass der Shot, in dem Lommels Figur selbst einen Zylinder auf seine Addidas-Mütze setzt und anschließend über einen Friedhof tänzelt, auch nach dem zwanzigsten Mal noch schallendes Gelächter auslöst.
Warum diese lange Vorrede? Weil das alles wichtiger Kontext für die folgenden Absätze ist. Denn nun wird es Zeit, über den Elefanten im Raum zu sprechen.
Waren wir das Problem?
Bereits im vergangenen Jahr bekam die Sichtung des Filmes mit dem Tod von Ulli Lommel eine leicht melancholische Note. Irgendwie wirkt es seltsam, über einen Film zu lachen, wenn der Mann, der sein ganzes Herzblut in diesen Film gesteckt hat, plötzlich verstirbt. Dann verschwand vor Kurzem Daniel Küblböck – ein mutmaßlicher Suizid. Und plötzlich wirkt es gar nicht mehr so harmlos und unschuldig wie bisher. Was zuvor noch unbeschwertes Gelächter ausgelöst hat, wird nun durch einen nagenden Gedanken im Hinterkopf gedämpft. In einem offenen Brief teilen die Eltern Küblböcks, wie sehr ihr Sohn Zeit seines Lebens unter Mobbing zu leiden hatte. Waren wir die ganze Zeit Teil des Problems?
Oliver Kalkofe meint „Nein“, denn er habe sich ja nie über die Person selbst lustig gemacht, nur über sein Werk. Und das ist eine Art, damit umzugehen, auch wenn gerade Oliver Kalkofe es sich damit ein bisschen zu einfach macht. Denn Daniel Küblböck wurde eben ausgelacht und wie eine Sau durchs Mediendorf getrieben. Attackiert wurde da eben nicht sein Werk, sondern die Person selbst. Seine Stimme, seine Attitüde, sein Verhalten, sein Aussehen, seine Emotionalität. Das ist ein Schuh, den wir uns auf dem einen oder anderen Level alle anziehen müssen, auch Oliver Kalkofe. Denn wenn wir behaupten, dass wir uns nur über seine Musik oder seine Filme lustig gemacht haben, lügen wir uns doch alle einen in die Tasche.
Ist es also geschmacklos, heute noch über Daniel der Zauberer zu lachen? Oder wäre es unehrlich, nach der Tragödie um seinen Hauptdarsteller damit aufzuhören und so zu tun, als hätte man nie gelacht? Ich habe mir Daniel der Zauberer nochmals angeguckt, mit genau diesen Fragen im Hinterkopf. Und direkt wieder angefangen zu lachen. Nicht hasserfüllt oder verspottend. Sondern bewundernd. Der Film ist so unbeholfen ernsthaft, kitschig und bizarr, dass man gar nicht anders kann, als darüber herzlich zu lachen. Der Film mag scheitern. Aber das tut er mit Herzblut.
Wir alle versuchen, unser Bestes zu geben, nach den Sternen zu greifen. Jeder, der in seinem Leben irgendetwas mit Kunst zu tun hat, versteht das Bedürfnis, etwas Großes zu erschaffen, etwas, das nachhallt, etwas, das den Konsumenten dieser Kunst etwas mitgibt, sei es eine Idee oder ein Gefühl. Es gibt allerdings verdammt viel Kunst da draußen. Und nur sehr wenig davon ist erfolgreich oder erreicht ihr Ziel. Die meiste Kunst versinkt in der Obskurität, geht unter in der Masse. Verpufft einfach. Das ist die tragische Wahrheit, die so viele Künstler zerfrisst. Wenn deine Kunst weder geliebt, noch gehasst wird. Wenn sie nichts auslöst. Wenn sie einfach verschwindet.
Daniel der Zauberer scheitert. Aber er scheitert so spektakulär, dass daraus etwas Neues entsteht. Man kann dem Film jede Beleidigung entgegenschmettern, aber was man ihm nicht vorwerfen kann, ist, dass er verpufft. Ich habe den Film viele Male gesehen, mit unterschiedlich großen Gruppen verschiedenster Filmgeschmäcker. Und egal ob lautes Gelächter oder entsetzte „Warum?“-Rufe – die Reaktionen waren immer laut. Und der Film bleibt in Erinnerung – selbst, wenn er als „der schlechteste Film, den ich je gesehen habe“ abgespeichert wird. Einzelne Szenen werden enthusiastisch auseinandergenommen, die grauenhaften Dialogzeilen werden rezitiert
Daniel der Zauberer ist ein Trashfilm – und zumindest in meinem Fall ist das das größte Kompliment, das ich ihm geben kann. Denn er macht das, was die besten Trashfilme jenseits kalkulierter Sharknado-Rotze auszeichnet: Er greift nach den Sternen. Er ist ambitioniert und ehrlich. Er wurde mit Herzblut und Leidenschaft gemacht. Und fällt halt einfach komplett auf die Fresse. Nichts ist menschlicher als das Scheitern. Und es ist doch geil, wenn das nicht einfach verpufft, sondern aus diesem Scheitern etwas entsteht, was bleibt. Es ist nicht der vom Schaffer intendierte Eindruck, aber spielt das eine Rolle, wenn es uns so viel Freude macht? Ist es gemein, über schlechte Filme zu lachen? Vielleicht. Aber es ist auch ehrlich. Denn wir lachen nicht nur über diesen Film. Wir lachen über uns selbst.
Danke dafür, Daniel und Ulli!
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