Luther Season 4
“You’re such a wonderful person, but you got problems” – David Bowie
Serienmörder, verstörte Polizisten, skrupellose Verbrecherbosse, verbitterte Opfer, ein Kopfgeld, Idris Elba als existentialistischer Polizist in den hässlicheren Straßen Londons und David Bowie: Die vierte Staffel der BBC-Serie Luther hat alle Elemente, die die Vorgänger ausgemacht haben. Zumindest scheinbar. +++ Spoilers ahead! +++
Alice Morgan (Ruth Wilson) ist tot. Über drei Staffeln hatte die psychopathische Mörderin dem Polizisten John Luther (Idris Elba) das Leben schwer gemacht, aber auch regelmäßig gerettet. Gerade als beide nach Südamerika durchbrennen wollen, stirbt Alice beim Versuch, die von Luther unterschlagenen Diamanten an den Mann zu bringen, um so das nötige Kapital zu beschaffen. Also kehrt Luther zurück in den Polizeidienst nach London, wo sich just ein Kannibale ans grausige Werk gemacht hat. Neben der Suche nach dem Menschenfresser versucht Luther natürlich vor allem die Umstände des vermeintlichen Todes seiner Psycho-Stalkerin aufzuklären. Die Spur führt zum Gangsterboss George Cornelius (Patrick Malahide), den sich Luther zum mächtigen Feind macht, und zur Hellseherin Megan Cantor (Laura Haddock), der Alice angeblich Botschaften aus dem Jenseits über einen alten Fall aus der Vergangenheit des Polizisten zuflüstert, den es entsprechend auch noch aufzuklären gilt.
But the film is a saddening bore/ ’Cause she’s lived it ten times or more.
Um zunächst ein eventuelles Missverständnis auszuräumen: Auch wenn die Geschichte als vierte Staffel deklariert ist, handelt es sich um einen Film von knapp 100 Minuten, den die BBC im Dezember 2015 als Zweiteiler ausstrahlte. Dies führt dazu, dass die diversen Handlungsstränge, die anscheinend für eine komplette Staffel mit vier bis sechs Episoden entwickelt wurden, in eine Folge gequetscht schematisch und halbherzig bleiben. Das ist besonders fatal im Fall des kannibalischen Serienmörders Steven Rose (John Heffernan), für den sich die Autoren wild in der Klischeeschublade bedient haben. Anstatt – wie es in früheren Staffeln der Fall war – tatsächlich originelle Motive und Modi Operandi zu entwickeln, wird vom verschmierten Lippenstift über die voyeuristische Masturbation bis zum Tragen des mütterlichen Blumenkleids jede abgeschmackte Perversion halbherzig durchexerziert. Und obwohl dieser im Vergleich stinklangweilige Handlungsstrang übermäßig viel Platz einnimmt, bleibt Luthers Erklärung des Motivs hektisch und halbgar. Ähnlich uninspiriert ist die Figur George Cornelius, der ehrbare Mob Boss „vom alten Schlag“, inklusive Sohn als potentieller Thronfolger, dessen Dialoge man wortgetreu in hunderten Gangsterfilmen der letzten 50 Jahre finden könnte.

Rose Leslie als Emma, Idris Elba als Luther.
For in truth, it’s the beginning of nothing / And nothing has changed / Everything has changed
Alice Morgans Tod ist eine mutige Entscheidung, schließlich war sie über drei Staffeln die Konstante in Luthers Leben und sein Alter Ego, an dem die Figur sich ausprägen konnte. Ihre Abwesenheit reißt ein entsprechend großes Loch ins Setting, insbesondere da die Etablierung einer Ersatzfigur für Alice am Ende wie ein schwacher zweiter Aufguss wirkt. Der Film verdeutlicht, wie sehr die Stärke der früheren Folgen nicht zuletzt in den Nebenfiguren und ihrer Beziehung zu Luther lag: seine Ex-Frau, ihr neuer Lebensgefährte, der korrumpierte Freund, der Schüler, die neue Liebe Mary oder eben Alice Morgan, sie alle waren für die Spannung der Serie wichtiger, als es vielleicht zunächst schien. Ohne diese emotionalen Verbindungen ist Luther kaum von den vielen Pseudo-Soziopathen zu unterscheiden, die seit Jahren die Fernsehkrimis bevölkern. Die halbherzig aufgebaute neue Partnerin Emma (Rose Leslie) und das regelmäßig als Deus ex Machina erscheinende Faktotum Benny (Michael Smiley) bleiben zu flach, als dass sie wirklicher Ersatz sein könnten.
Dass die vierte Staffel trotzdem sehenswert ist, liegt daran, dass Idris Elba noch immer einer der charismatischsten Schauspieler unserer Zeit ist und es einfach Spaß macht, ihm zuzusehen, wie er als Luther immer noch einige Schritte weiter geht als andere TV-Ermittler. Vielleicht ist es aber auch Nostalgie und die Erinnerung daran, dass die Luther vor sechs Jahren ein so unglaublich cleveres und forderndes Format war. Die erste Staffel versteckte hinter der Fassade eines „howcatchem“-Krimis sechs spannende, gehaltvolle Dramatisierungen existentialistischer Ethik. Fragen über die Rechtfertigung und Folgen von Mord, über Freiheit und Eigenverantwortlichkeit wurden am Beispiel des eigenbrötlerischen Polizisten genauso verhandelt, wie auch Liebe, Loyalität und Verrat. Nicht umsonst zierte Luthers Schreibtisch zu Beginn das Portrait Albert Camus’. Wie der Protagonist in dessen Der Fremde hatte sich Luther nach dem Mord(versuch) an einem pädophilen Kindermörder von der Gesellschaft, ihrer Moral und vor allem ihrer Rechtsprechung entfremdet. Anders als traditionelle TV-Polizisten war John Luther kein Vertreter des Gesetzes im juristischen Sinne, sondern ein handelndes Subjekt, das, wenn nötig auch im Widerspruch zu gängigen Moralvorstellungen, gegen die Absurdität und Boshaftigkeit der Welt Sinn zu stiften versucht. Seit Beginn der zweiten Staffel nahmen der intellektuelle Anspruch sowie die handwerklichen Qualität und Originalität kontinuierlich ab. Diesen Trend führt auch Staffel vier fort. Ob Idris Elbas Ausstrahlung und die Erinnerung an das eigentliche Potential der Serie ausreicht, eventuell auch eine fünfte Staffel alleine zu tragen, ist leider fraglich.
Fischpott Disclaimer: Wir haben von polyband ein Rezensionsexemplar erhalten.