Three Billboards Outside Ebbing, Missouri
Ich habe ihn gefunden. Den besten Film des Jahres 2018. Ja, ich weiß, es ist erst Februar.
Ho, ho, ho, immer langsam mit den jungen Pferden. David, du feister Frechdachs, wie zum Otter kann es denn jetzt schon einen besten Film des noch so jungen Jahres geben?
Das will ich dir verraten, fiktive Gegenüber-Stimme, die ich in letzter Zeit viel zu häufig einsetze, um meine Reviews aufzuhübschen. Ist es entschieden zu früh und zu vermessen, sich bereits jetzt ein Urteil über das gesamte restliche Filmjahr zu erlauben, ohne dass man weiß, was da noch für Perlen auf uns warten? Latürnich! Keine Frage. „Bester Film des Jahres“ ist sowieso ein vollkommen irrelevantes Prädikat, mit dem sich Klicks und Kontroversen generieren lassen (Bedenket, mein Film des Jahres 2017 war die dritte Staffel der Serie Twin Peaks – damit sollte klar sein, was von meinem „Listencontent“ in der Regel so zu halten ist).
Ich bin mir sicher, 2018 wird uns noch viele grandiose, um nicht zu sagen legendäre neue Klassiker bescheren. Filme, die mich zum Staunen, Lachen, Weinen oder zum fassungslosen auf-die-Leinwand-Starren bringen werden. Und trotzdem hat in den letzten Jahren lediglich Sicario geschafft, meine extrem hohen Erwartungen derart zu untergraben, dass ich noch Tage später darüber nachdenken muss. Es hätte mich nicht überraschen sollen…
Jetzt mal langsam, von was für einem Film reden wir eigentlich?
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri ist der dritte Langfilm des britischen Regisseurs Martin McDonagh. Dieser ist verantwortlich für das bis heute kriminell unterschätzte Meisterwerk Brügge sehen…und sterben? sowie für die bittersüße Farce 7 Psychos. Was all seine Filme vereint ist ein geschicktes Spiel mit Genres und erwartbaren Storyklischees, die dann auf unterschwellig-intelligente Weise gebrochen oder untergraben werden. Nicht zu vergessen die bis in die letzte Nebenrolle detailiert ausgearbeiteten Figuren, immer an der Grenze zur Karikatur, aber mit derart viel Empathie gezeichnet, dass sie beinahe den tiefen Zynismus, der in jedem von McDonaghs Filmen steckt ausgleichen können. Beinahe… Und damit wären wir auch schon bei Three Billboards.
Seit Jahren sind die Flächen dreier Werbetafeln an einer Straße auf dem Weg nach Ebbing frei. Bis die 50-jährige Mildred Hayes (Frances McDormand) vorbeikommt. Nachdem sie sich vergewissert hat, was man gesetzlich nicht auf diese Tafeln schreiben darf („Fuck“, „Piss“, „Cunt“ oder „Anus“ sind nicht okay), mietet sie die Flächen und versieht sie mit drei simplen Botschaften: In großen schwarzen Buchstaben auf rotem Grund prangen die Sätze „Raped While Dying“, „Still No Arrests?“ und „How come, Chief Willoughby?“. Das stößt in Mildreds Kleinstadt auf wenig Gegenliebe, weder bei dem inkompetenten, rassistischen Polizisten Dixon (Sam Rockwell), noch bei dem örtlichen Pfarrer oder Mildreds Ex-Ehemann Charlie (John Hawkes) oder ihrem Sohn (Lucas Hedges), vor allem aber nicht bei Sherriff Willoughby (Woody Harrelson selbst). Aber Mildred lässt sich nicht von ihrem Weg abbringen, auch nicht als die Situation eskaliert. Es geht um Gerechtigkeit. Und Rache. Für ihre ermordete Tochter…
Subversiv bis der Arzt kommt
Von der Plot-Beschreibung sowie den Trailern und dem Promo-Material lässt sich relativ leicht entziffern, wohin die Reise geht. Es ist eine David gegen Goliath-Situation. Der Feldzug einer trauernden Mutter gegen zunehmenden Widerstand von außen. Und würde der Film dabei bleiben, würde ich ihn einen sehr guten, effektiven Film mit besonders gutem Timing in Bezug auf unsere aktuelle Gesellschaft nennen. Eine inspirierende Geschichte mit einer starken Frauenfigur tut uns immerhin allen gut gerade. Aber wer Filme von Martin McDonagh kennt, weiß, dass er es sich nicht so einfach macht. Dass er es uns nicht so einfach macht.
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri kommt nicht mit absurden, aus dem Nichts materialisierenden Twists um die Ecke. Das hat er auch gar nicht nötig. Stattdessen wird viel mit den Sympathien und Erwartungen der Zuschauer gespielt, um eine schlussendlich sehr düstere, zynische Handlung mit winzigen Hoffnungssprenklern zu weben. Entgegen der Erwartungen, die Trailer und Co. schüren, gibt es hier keine trennscharfen Gut gegen Böse-Situationen. McDonagh nimmt sich die Zeit, die Menschlichkeit und Motivationen von Mildreds Gegnern detailiert zu zeichnen, während der Feldzug der Protagonistin im Laufe des Films mehr und mehr in Frage gestellt wird.
Vielleicht hat diese Abwesenheit von klaren Antworten, Motivationen und klaren Sympathiefiguren zu der aktuellen öffentlichen Gegenreaktion geführt: Trotz überwiegend positiver Kritiken und Lob von allen Seiten gibt es auch Stimmen, die dem Film beziehungsweise Martin McDonagh vorwerfen, mit der Figur von Sam Rockwells Dixon rassistische Cops zu verharmlosen. Ich verstehe diese Perspektive und als weißer Cisgender-Mann bin ich nun echt nicht die Person, der zusteht, zu entscheiden, wann Rassismusvorwürfe gerechtfertigt sind und wann nicht…aber ich kann nur empfehlen, den Film nochmals anzugucken, denn dieser Film hat kein wirkliches Happy End. Dixons Figur erhält nicht die scheinbare, unverdiente Erlösung. Mildred übrigens auch nicht.
Weinen und Lachen…und Weinen
All das passiert in einem der wohl lustigsten Filme seit langem. Three Billboards ist kein pessimistischer Trauermarsch, denn McDonagh findet die Komik in seinen Figuren und ihren Absurditäten, was seine brilliante Schauspielerriege gekonnt mit perfektem Timing umzusetzen weiß. Hochtragische Szenen wechseln sich ab mit Szenen, bei denen ich Tränen gelacht habe – ein Balanceakt, den McDonagh scheinbar mühelos bewältigt. Three Billboards outside Ebbing, Missouri ist der unterhaltsamste unbequeme Film seit…tja, seit Brügge sehen…und sterben? (An dieser Stelle der Hinweis: Guckt Brügge sehen…und sterben? Jetzt! Und dann guckt ihn nochmal! Der Film ist legendär!)
Und wo wir gerade bei den Schauspielern sind: Alter Finne, was für ein Brett. Die sowieso schon in jedem Film legendär gute Frances McDormand liefert hier die Performance ihrer Karriere ab, abwechselnd knallhart, ätzend böse, konsequent, zweifelnd, verletzbar, verängstigt, wütend. Spätestens wenn sie ihren Sohn zur Schule bringt und den Schülern, die aus Protest Milchkartons auf ihr Auto werfen, hart in die Weichteile tritt, bleibt einem nichts anderes übrig als zu flüstern: „Heirate mich, Frances!“ Diese Leistung ist oscarwürdig, eine Protagonistin, von der man auch in den moralisch zwiespältigen Momenten nicht die Augen abwenden kann.
Dann ist da Sam Rockwell, der seine Stärken als zwischen trottelig und brutal wandelnden Polizisten voll ausspielen kann. Woody Harrelson in einer sehr warmen, sympathischen Rolle – bis auch hier dem Zuschauer der Teppich unter den Füßen weggezogen wird. Caleb Landry Jones, der zeigt, dass er tatsächlich doch etwas mehr als nur ekelhafte Südstaaten-Psychopathen spielen kann. John Hawkes, der verdammt noch mal in deutlich mehr Filme und vor allem in eine neue Staffel Deadwood gehört. Und selbst in winzigsten Nebenrollen können Peter Dinklage und Samara Weaving glänzen und wunderbar gespielten, absurden Seitencharakteren ihren Stempel aufdrücken.
Three Billboards outside Ebbing, Missouri ist kurzweilig und unterhaltend. Aber auch unberechenbar und unbequem. Tragisch und unfassbar lustig. Vor allem aber unfassbar präzise geschrieben und inszeniert. Martin McDonagh zeigt auch in seinem dritten Film, warum er längst zu den ganz großen, unterschätzten Autoren und Regisseuren unserer Zeit gehört. Der Film ist ein Meisterwerk. Nicht jeder wird sich am Ende darin wiederfinden. Aber er wird euch beschäftigen. Noch lange. Und allein das macht ihn schon jetzt zu dem besten Film des Jahres 2018. Möge ein anderer Film mich vom Gegenteil überzeugen.
Kommentare
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>