Twin Peaks – A Limited Series Event
Alles, was wir lieben, wird sterben. Außerdem: Bilder von Eichhörnchenbabys.
Bitte was, David? Knapp 10 000 Zeichen über die Fortsetzung einer obskuren Serie aus den 90ern? Wer soll das denn lesen, bitte?
Bitte, lasst mich garantieren, dass ich eure Zeit nicht verschwende, indem ich diese Review mit Bildern von niedlichen Eichhörnchen würze. Was das mit Twin Peaks zu tun hat? Nichts. Aber es sind Eichhörnchen.
Twin Peaks (1990) war ein Phänomen. Eine bahnbrechende Serie, die Genre-Grenzen durchbrach. David Lynch und Mark Frost nutzten das Genre der Seifenoper, um eine düstere Geschichte über die Finsternis unter der Oberfläche einer beschaulichen Kleinstadtidylle zu erzählen. Wer ermordete die beliebte Schülerin Laura Palmer (Sheryl Lee)? Um das herauszufinden, fährt Agent Cooper (Kyle MacLachlan) nach Twin Peaks und lernt nach und nach die eigentümlichen Bewohner der beschaulichen Stadt in den Wäldern von Washington kennen. Was wie eine geradlinig erzählte Mystery-Serie klingt, nimmt schon bald eine Wendung ins Bizarre: Alpträume, Visionen, übernatürliche Elemente wurden von Lynch und Frost gerade in der ersten Staffel gekonnt in das gewohnte Serienformat gewoben und machten Twin Peaks zu etwas nie zuvor Dagewesenem.
Bereits in der zweiten Staffel allerdings hatten Lynch und Frost zunehmend weniger Kontrolle über ihr Projekt und der Versuch des Senders, die Serie massentauglicher zu machen (unter anderem, indem aufgelöst wurde, wer Laura Palmers Mörder war – eine Frage, die beide Schöpfer nie vorgehabt hatten, zu beantworten) schadeten Twin Peaks sowohl qualitativ als auch in den Zuschauerquoten. Zum Schluss endete die Serie auf einem Cliffhanger, bevor David Lynch 1992 seine Schöpfung erneut besuchte – dieses Mal in Form eines Films, der jedoch kaum Fragen beantwortete und eher weitere Fragen eröffnete. Ein klassischer Lynch eben.
Am Ende des Films versprach eine Vision von Laura Palmer Agent Cooper: „Ich werde dich in 25 Jahren wiedersehen.“ Schnitt zu 2017. Exakt 25 Jahre nach dem Film. Völlig unvermittelt taucht eine dritte Staffel Twin Peaks als limitierte Serie auf. 18 neue Folgen. Komplett von David Lynch und Mark Frost geschrieben. Endlich wieder Twin Peaks. Endlich wieder die lieb gewonnenen Charaktere besuchen. Vielleicht endlich Antworten, Lösungen, ein Abschluss. Eine Staffel, die den Fans endlich das gibt, was sie schon immer von Twin Peaks haben wollten.
Sie wurden bitterlich enttäuscht. Dabei hätten sie es besser wissen müssen. Es ist David Lynch. David Lynch gibt uns nicht einfach eine simple Wohlfühlserie für die Fans. David Lynch gibt uns mehr.
Hä? Was? Wo? Wer?
So springt die erste Folge scheinbar willkürlich zwischen Orten, Personen und Stimmungen hin und her. Nach dem gewohnten, wenn auch leicht veränderten Intro, untermalt von der legendären Musik von Angelo Badalamenti, treffen wir auf bekannte Gesichter, Cooper und den Riesen. Beide tauschen kryptische Hinweise aus und als Zuschauer erwarten wir selbstverständlich, dass diese Hinweise eine wichtige Rolle spielen werden. Dann ein Schnitt – und völlige Desorientierung, denn wir befinden uns nicht, wie erwartet im beschaulichen Twin Peaks, sondern im modernen New York City, dessen nächtliche Skyline sehr fremd erscheint, wenn man den kleinstädtlichen Fokus und Charme der alten Serie noch im Hinterkopf hat.
Tatsächlich dauert es sehr lange, bis wir unseren ersten Einblick in das vertraute Twin Peaks erhalten. Lange, sich langsam abspielende Sequenzen mit fremden Figuren an fremden Orten, ohne eine Erklärung, ohne Musik, (scheinbar) ohne einen Sinn. Wir beobachten einen jungen Mann in einer Lagerhalle dabei, wie er eine mysteriöse Glasbox beobachtet, umringt von Kameras, lediglich ab und zu von seiner Couch aufstehend, um eine SD-Karte auszutauschen. Seine Freundin bringt ihm Kaffee und als verwirrter Zuschauer klammert man sich fast schon verzweifelt an dieses winzige Detail. Kaffee! Das war ein wichtiger Bestandteil der Original-Serie! Das ist etwas bekanntes! Und trotzdem wird diese Erkenntnis nicht belohnt. Die Sequenz fährt fort, verwandelt sich in reinen Horror, dann Schnitt. Locationwechsel. Wir sind in Twin Peaks, allerdings nicht bei Fan-Favoriten wie Cooper oder Audrey, sondern bei Ben Horne und seinem Bruder Jerry, zwei eher nebensächlichen Charakteren.
Verloren in der Moderne
Spätestens an dieser Stelle muss man als Zuschauer eine Entscheidung treffen. Denn die kommenden 18 Stunden dieser Version der Serie werden genau so fortfahren. Von Folge zu Folge wird mit Erwartungen gespielt. Für Nostalgie ist hier kein Platz. Frustrierte Fans haben dieses „neue“ Twin Peaks verurteilt, da von der beschaulichen Seifenoper in der liebenswerten Kleinstadt mit dem dunklen Geheimnis kaum mehr etwas zu erkennen ist. Altbekannte Figuren tauchen nur sporadisch auf, sichtbar alt geworden (was zu teilweise herzzerreißend tragischen Szenen führt, gerade zwischen Hawk (Michael Horse) und der Log Lady, gerade in Anbetracht des Ablebens der Schauspielerin Catherine Coulson).
Oft wirken die Figuren der alten Serie merkwürdig deplatziert in dieser modernen Welt. Eine bewusste Entscheidung, denn so wie die Schauspieler selbst sind auch die Charaktere deutlich gealtert (außer Norma/Peggy Lipton. Wie zum Lurch kann man denn mit über 70 noch so spektakulär aussehen??? Und in den Szenen, in denen sie direkt neben Shelly/Mädchen Amick steht … sorry, ich brauch grad ‘nen Moment). Es ist eine Rückkehr, wie der Titel der neuen Staffel verspricht, aber man erkennt trotzdem nichts wieder. Das warme, flauschige Gefühl der Nostalgie, das viele Fans erwartet haben, will sich nicht einstellen.
Nirgendwo ist das deutlicher zu erkennen als in den Hauptfiguren der Originalserie. Wer eine Fortsetzung der zarten Liebesgeschichte zwischen Cooper (Kyle MacLachlan) und Audrey (Sherilyn Fenn) gewünscht hat, wird hier bitterlich enttäuscht. Die guten alten Zeiten werden nicht mehr wiederkommen; es ist Zeit, etwas neues zu erschaffen – etwas, was auch Star Wars etwas unbeholfen versucht hat. David Lynch hat kein Interesse an billiger Wunscherfüllung, was einzelne Momente, in denen das „alte“ Twin Peaks inklusive klassischer Musikmotive dann doch wieder heraufbeschworen wird, umso stärker macht.
Überhaupt, Kyle MacLachlan. Warum hat der Knabe 2017 nicht alle Preise bekommen? Seine Leistung in dieser Serie sind herausragend, besonders da er, ohne zu viel spoilern zu wollen, im Wesentlichen drei verschiedene Figuren spielt. Alle Schauspieler, alt und neu, in Twin Peaks liefern fantastisch ab, aber MacLachlan ist eine absolute Offenbarung. In seiner Figur steckt der Schlüssel zu dieser neuen Staffel: Agent Cooper war immer der absolute Zuschauerfavorit und obwohl MacLachlan in beinahe jeder Folge prominent vertreten ist, bekommen wir lange Zeit keinen Cooper, nur bastardisierte Doppelgänger.
Eine erschreckende Reise in die Nacht
In den 18 Stunden Twin Peaks unternimmt David Lynch einen Streifzug durch alle möglichen Genres. Komödie, Drama, Liebesgeschichte, Thriller und – natürlich – Horror. Seit der Winkie’s Diner-Szene in Mulholland Drive oder der „Call yourself“ Moment aus Lost Highway wissen wir: Wenn es um Horror geht, gibt es kaum jemanden, der David Lynch das Wasser reichen kann. Seine Szenen verstören, ohne dass Gewalt oder Jumpscares verwendet werden müssen. Denn sie gehen unter die Haut. David Lynch hat eine Fähigkeit, die unterbewussten Urängste eines Alptraums herauszufiltern und auf den Bildschirm zu übertragen. Es gibt Momente in dieser Staffel Twin Peaks, die sich tief in das Gedächtnis hineingraben.
Neben den fantastischen Performances und dem meisterhaften Sound Design sind es vor allem die kleinen, unscheinbaren, manchmal absurden Details, die diese Szenen besonders beängstigend machen – zum Beispiel ist ein sprechender Teddybär, der im Hintergrund wiederholt einfach nur „Hallo Johnny, wie geht es dir heute?“ sagt, untermalt von entspannter Kurhotelmusik, Teil einer der unbequemsten Szenen der Fernsehgeschichte.
Dann ist da noch Folge 8. Jesus Christus, Folge 8. Hatte die Serie zuvor schon allen Konventionen eines gemütlichen Netflix & Chill-Abends widersprochen, wirft Folge 8 diese Konventionen nicht nur endgültig über Bord, sondern zündet auch noch den Sitzsack unter dem eigenen Hintern an.
Was sich in dieser Folge vor den eigenen Augen abspielt, lässt sich maximal als eine Art Alptraum-2001: Odyssee im Weltraum beschreiben. Es ist ein visueller Höllentrip über den Ursprung des puren Bösen und nie hat ein Satz so viel existenzielle Panik und Terror ausgelöst wie „Hast du mal Feuer?“ Die Folge ist auf eine Weise nachhaltig verstörend, wie es sonst allenfalls noch die allerletzten Momente der bizarren letzten Folge der Serie sind.
Auch sonst ist Twin Peaks eine wilde Reise quer durch Stimmungen, Gefühle, Genres. Altbekannte und völlig neue Figuren tauchen auf und verschwinden wieder. Plots kommen und gehen, manche spielen eine wichtige Rolle, andere verschwinden völlig. Man kann versuchen, sich auf all das einen Reim zu machen, kann versuchen, die Serie wie einst die Mystery-Show Lost zu analysieren, auseinanderzunehmen und zu entschlüsseln. Man kann seitenlange Essays schreiben, Theorien aufstellen, Tabellen und Zeitstrahl erstellen …
… oder man unterdrückt diesen Reflex. „Gehirn ausschalten“ ist in der Regel eine Empfehlung, die nicht gerade mit Meisterwerken verbunden wird, sondern maximal mit Schepperware wie Fast & Furious 19: Vin Diesel in Space. Aber die beste Erfahrung mit Twin Peaks macht man, wenn man sich einfach darauf einlässt. Logik und das Verlangen nach einer kohärenten Handlung komplett über Bord werfen und sich von David Lynch auf eine Reise mitnehmen lassen. Eine Reise mit Höhen und Tiefen. Eine Reise in die schwärzeste Nacht. Eine Reise in das eigene Unterbewusstsein. Eine Reise in eine Kleinstadt namens Twin Peaks.
Disclaimer: Fischpott hat ein DVD-Rezensionsexemplar von Panorama Entertainment erhalten.
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