Wallander: Staffel 1
Henning Mankell war fast schon seinem Krebsleiden erlegen, als sich endlich auf ganzer Linie durchgesetzt hatte, seinen Namen nicht nach englischer Manier auszusprechen. Bittet man aber mal einen Schweden, den Namen einfließen zu lassen, dann hört sich das wieder anders an als das, was sich mittlerweile eingebürgert hat. Will sagen: Um Schwedisch, schwedische Aussprache, schwedisches Lebensgefühl, schwedischen Tiefsinn und was noch alles korrekt taxieren zu können, reicht es nicht, ABBA, Volvo und IKEA zu mögen. Es bleibt auch zu bezweifeln, dass die Verfilmungen der Wallander-Krimis einen nennenswerten Beitrag dazu geleistet haben. Nur muss man einschränkend sagen, dass Verfilmung und Verfilmung in diesem Fall mindestens zwei Paar Schuhe sind.
Vom Mörder ohne Gesicht zum Mittsommermord
Mankells erster Roman, Mörder ohne Gesicht, erschien 1991 in schwedischer, 1993 in deutscher Fassung. Ihm folgten elf weitere Wallander-Krimis, in denen die persönliche Entwicklung des Kommissars von der Midlife Crisis bis hin zur Alzheimer-Erkrankung mindestens so viel Belang hatte wie der Mordfall, während das Lokalkolorit oft ins Hintertreffen geriet. Das Kuriose daran: Obwohl in den Romanen Wallanders Leben abgespult wird, sind die Filme in anderer Chronologie sortiert. Und das gleich in drei Varianten.
Mit Rolf Lassgard als Wallander verfilmte das schwedische Fernsehen zwischen 1994 und 2007 neun Romane. Seit 2005 existiert eine internationale Koproduktion mit Hauptdarsteller Krister Hendriksson in 32 Teilen, nur einer davon nach einem Originalroman verfilmt, der Rest auf Drehbüchern basierend, die Mankell eigens für diese Serie geschrieben hat. Dritter im Bunde wurde von 2008 bis 2015 die zwölfteilige Reihe der BBC mit Kenneth Branagh als Kommissar. Auch sie, auf deren Staffel 1 wir uns hier beschränken, hält sich nicht an die Chronologie der Romane. Die erste DVD-Box umfasst vielmehr Die falsche Fährte (Roman Nr. 5), Die Brandmauer (Nr. 8) und Mittsommermord (Nr. 7). Welche Bedeutung die geänderte Abfolge hat, ob es überhaupt eine Bedeutung gibt – man erfährt es in keinem Begleitbuch, bleibt aber als Leser der Romane irritiert, gerade weil Wallanders fiktives Leben ein wesentliches Element im Erzählstrang ist.
Branagh als Wallander
Was gleich positiv ins Auge, nein, ins Ohr sticht, ist die deutsche Synchronisation. Hat man bei der Hendriksson-Variante stets den Eindruck, die Sprecher seien in Wolldecken gemummelt – und interpretiert das womöglich noch als schwedische Aura –, so klingt die Branagh-Fassung erfreulich präsent, echt. Da wurde mehr Aufwand betrieben, auch bei Bildern und Kameraführung. Zudem muss man Hendriksson ankreiden, dass er von Anbeginn so wirkt, als sei er auf das Ende in der Demenz vorbereitet. Branagh liefert eine wesentlich breitere Palette an Emotionen, Mimik und Gestik, Kauzigkeit bleibt bei ihm Kauzigkeit, Verfall bleibt Verfall.
Mit Gilderoy Lockhart aus Harry Potter und die Kammer des Schreckens assoziieren deutsche Kinogänger den Schauspieler Branagh. In seiner Heimat aber ist er vor allem der begabte Shakespeare-Interpret. Für All is true (2018) führte er Regie und spielte zugleich den Dichter, um eine düstere Fiktion um die letzten Lebensjahre Shakespeares zu entwickeln. Solches Rüstzeug hat wahrlich das geeignete Kaliber, um auch Wallander als eine Person mit der gebührenden Tiefe darzubieten. Stimmige Lichtführung, saubere Wahl der Locations, gewagte Close-ups, ein ausgewogenes Zeitmanagement – das alles passt und spiegelt Mankells tiefe Absicht: hinter der vordergründig heilen Welt Schwedens die wachsende Verrohung herauszuschälen und sie in Relation zum Verfall des Protagonisten zu bringen. Ein Held ist dieser Wallander nicht, er stochert mitunter ratlos in seinem Fall herum und nimmt Anfeindungen von Zeugen und Verdächtigen wie ein Schwächling hin. Bei allem verliert der Zuschauer aber nie die Zuversicht, dass der Kommissar seinen Fall lösen wird. Auf die Wege zur Aufklärung kann man sich über vier Staffeln hinweg freuen und auch erleben, welche abscheulichen Abgründe in Teilen der schwedischen Gesellschaft lauern. Das ist die Authentizität, diese Interpretationen auszeichnet.
Fischpott-Disclaimer: Wir haben ein Rezensionsexemplar der DVD-Ausgabe zur Ansicht erhalten.