Wer hat Angst vorm bösen Wolf?
WER – Das Biest in Dir
Ein Film von William Brent Bell,
näher betrachtet von Cathy und Ulf.
Ulfs Meinung
Eigentlich wollte ich das Review ja mit allerlei dummen „Wer-Witzen“ spicken. Überschriften wie: „Wer? Wolf!“, „WER schaut sich so etwas an?“ oder klassisch „We(h)r dich nicht“. Wurde mir dann aber irgendwie verwehrt (Cathy: Ha!). Schade eigentlich (Cathy: kein Problem, ich hab’s getan!). Immerhin stammt mein Name vom altnordischen Wort „Ulv“ ab, was soviel wie „der Wolf“ heißt. Was eigentlich auch nicht so viel zur Sache beiträgt.
Ich denke jedenfalls, das kann ich hier ruhig mal vorab verraten – bei WER – Das Biest in Dir geht es um Werwölfe. Ehrlich gesagt, ich bin ein wenig hin- und hergerissen wenn es um Werwölfe geht. Zum einen taugen diese sicher ganz gut als Monster in einem Film. Besser jedenfalls als Feen oder Einhörner. Wobei, böse Feen gibt es eigentlich immer wieder mal in Filmen und das Einhorn in Cabin in the Woods hat ziemlich gerockt. Zum anderen finde ich Werwölfe jetzt nicht so wirklich spannend. Angst machen die mir in Filmen jedenfalls nicht, wahrscheinlich weil es sie einfach nicht gibt. Mich spricht da eher der Hillbilly-Horror oder ein Axtmörder in einer dänischen Ferienhaussiedlung an.
Anyway, wenn ich so über Werwölfe nachdenke fallen mir ein paar ganz gute Filme ein. An American Werewolf in London oder Wolfman (ebenso das Remake) und Wolf mit Jack Nicholson. Alles ganz gute Filme, teilweise sogar wegweisend gute Filme. Mein Favorit ist aber immer noch Dog Soldiers von Neil Marshall. Hier geraten ein paar Soldaten auf einer Übung irgendwo in den Highlands an Werwölfe und haben dabei nur Übungsmunition in ihren Hightech-Knarren. Ich hebe Dog Soldiers aber nicht hervor, weil er die besten Effekte hätte oder voll innovativ wäre, nein, weil er einfach von Anfang bis Ende packend ist, Humor passend einsetzt und wenn es sein muss auch irrsinnig spannend und blutig daherkommt.
Das Gute an Werwölfen ist jedenfalls, dass man sie vielschichtig einsetzen kann. Als Monster, das einfach Leute überfällt. Als (Anti-)Held, der bei Vollmond seine Familie verlassen sollte, da er unberechenbar ist. Vielleicht auch als ahnungsloser Tourist, der gar nicht merkt, wie er sich mit Lykanthropie angesteckt hat und den Fluch wieder loswerden will. Ein paar Dinge zeichnen für mich dabei den Werwolf aus: Es trifft fast immer Männer (warum eigentlich?) und es geht vor allem um eines: Totalen Kontrollverlust. Es findet selten nur eine körperliche Verwandlung statt und man ist nicht mehr Herr seiner Sinne.
Die Story: Realismus statt Mythos
WER beginnt damit, dass eine junge Familie (Mutter, Vater, Sohn, Hund) irgendwo in den Wäldern bei Lyon Urlaub macht und sich abends beim Campen fröhlich mit einer Videokamera filmt. Schnell wird dann Bekanntschaft mit dem lokalen Monster gemacht und wir finden uns einen Vater, einen Sohn und einen Hund weniger zusammen mit der schwerverletzten Mutter im örtlichen Krankenhaus wieder. Diese beschreibt zu aller Erstaunen ein humanoides Wesen. Hochgewachsen, Riesenhände und -füße (Großmutter, Großmutter, was hast du so große Hände?), haarig. Die Polizei hat mit dem geistig und körperlich beeinträchtigten Talan Gwynek (beeindruckend groß: Brian Scott O’ Connor) relativ schnell einen Verdächtigen zur Hand, der tatsächlich von beachtlicher Statur und äußerst behaart ist, Osteuropa-Bonus inklusive. Der Fall scheint so gut wie abgeschlossen zu sein. Verteidigerin und Hobbymenschenrechtlerin Kate Moore (AJ Cook) meint das Manöver, im armen Talan einen Sündenbock finden zu wollen, zu durchschauen und beschließt mit dem Tierkundler Gavin Flemyng (Simon Quarterman) und dem Arzt Eric Sarin (Vik Sahay) die Unschuld Talans zu beweisen.
Die Grundidee klingt hierbei nicht einmal schlecht. In einigen Szenen jedoch erlaubt sich der Film dann aber ein paar Dummheiten zu viel: Eine Familie soll also ihr Haus im Wald verkaufen, da die Regierung dort Atommüll lagern will? Ja, klar. Und in einer Szene kommt nachts ein Bär aus dem Wald und wird direkt von der Polizei erschossen. Immerhin wird da sogar von den Bullen erwähnt, dass es schon komisch ist, da Bären seit 200 Jahren nicht mehr in der Gegend gesehen wurden. Im Anschluss des Films haben wir noch intensiv diskutiert (na ja, gut, ICH habe intensiv diskutiert) ob man mit 9mm Geschossen überhaupt einen Bären so schnell töten kann.
Die Technik: Found Footage?
Gedreht wurde WER übrigens in großen Teilen in Rumänien und im leider immer noch recht beliebten Found-Footage-Stil. Sprich: Alles sieht so aus, als ob es zufällig mitgefilmt wurde, auch gibt es Aufnahmen von Überwachungskameras. Dazu kommt, dass der Film einen sehr klinischen Digital-Look aufweist. In bestimmten Szenen funktioniert das alles dann auch ganz gut, wenn beispielsweise ein SWAT-Team ein Gebäude stürmt und man die Action mit Helm- und Gewehrkameras gefilmt präsentiert bekommt, ist das schon sehr geil. Ebenso bei Verhörszenen wirkt es stimmig, auf die Kameras im Verhörraum zurückzugreifen. Ansonsten ist es aber eher unnötig.
Die Geschichte wird dabei anfangs passend ruhig erzählt. Wir lernen die Charaktere kennen und können uns von der Situation ein recht gutes Bild machen. Leider baut der Film meiner Meinung nach kaum Spannung auf, was doppelt schade ist, da dies die wirklich verdammt geilen Actionszenen im letzten Drittel ein wenig verpuffen lässt. Besagte Action wird von wummernder Keyboardmusik untermalt und wirkt dank effektvoller Schnitt und Kameraarbeit ziemlich intensiv und hart. Vieles bleibt jedoch recht vorhersehbar (allem vorweg die typischen Jump-Scares), was jedoch nicht zwangsläufig schlimm ist.
Der Werwolf: Satire und Tobsucht
Cathys Meinung
Da denke ich ganz unreflektiert, ich kenne ein alteingesessenes Horrormotiv in- und auswendig, so dass ich mir erlauben kann, jegliche Neuauflage mit einer skeptisch hochgezogenen Augenbraue zu begrüßen und dennoch muss ich feststellen: mein Werwolfwissen ist gelinde gesagt lückenhaft und viele Werwolffilme hab’ ich auch nicht gesehen.
Resümieren wir doch mal, was wir wissen: Ohnehin schon ruppige Kerle verwandeln sich unter Vollmondlicht in Wolfshybriden – Furries, würde man heute sagen. Silber ist des Lykaners Kryptonit. Will man diesem also den Garaus machen, braucht man ein silbernes Projektil, sonst war jede Mühe für die Katz. Kennt man ja: Pflock durchs Herz, Kopf abschlagen, Stein ins Auge etc.
Doch darüber hinaus nur blankes Unwissen. Ist der Werwolf unsterblich? Ist Lykanthropie ansteckend oder gar heilbar? Landen Wölfe immer auf ihren Pfoten? WER hat’s erfunden (mein Beitrag zur Wortspielerei, auf weitere werde ich zumindest nicht hinweisen)?
Um sich retrospektiv ein bisschen schlauer zu fühlen, kramt man sich also halbherzig durchs Internet und lernt: Titus Petronius Arbiter hat in seinem Satyricon die Verwandlung zum Wolf bei Vollmond beschrieben. Wen’s interessiert: Petronius’ Satyricon ist ursprünglich nicht bloß namensgebend für die grimmige Black Metal Band, sondern auch verantwortlich für den heutigen Begriff der Satire. Wer hierbei an Satyrn denkt (lustige kleine Wesen aus Menschen- und Ziegenteilen – Werziegen quasi) mag nicht unbedingt auf dem richtigen Weg sein. Wahrscheinlicher ist die weniger romantische Herleitung vom lateinischen satura lanx – eine bunte Schüssel voller Zeugs. Da kann man dann auch – ganz unernst – von Werwölfen schreiben. Das Furry-Motiv an sich ist natürlich noch einmal deutlich älter. Man denke beispielsweise an ägyptische Gottheiten – Anubis könnte rein optisch problemlos als Werwolf durchgehen.
Doch was vielen jener alten Erzählungen und Mythen über Wolfsgötter und in Wölfe verwandelte Schäfer fehlt, ist der Aspekt der Tobsucht. So mischt sich im Mittelalter der Werwolf- und der Berserkermythos und wird zur schneidigen Erklärung und Diagnose unangenehmer Krankheiten wie Tollwut, Epilepsie, spastische Anfälle oder PMS.
Man muss sich das so vorstellen: die alten Griechen und antiken Römer forschen bienenemsig zu Philosophie, Juristerei und Medizin und lenken sich in ihrer Freizeit mit satirischen Erzählungen ab – auch solche über Werwölfe. Die Gelehrten des Mittelalters finden diese Satiren eher anstößig und viel zu fiktional. Längst hat man ebenso emsig die ganzen ollen Kamellen über Arithmetik, Wundbrand und faire Prozesse aus den kostbaren Codices ausgekratzt und religiöse Traktate darüber gemalt. Epilepsie, Hirnschäden und Schlafwandeln werden aufgrund dieser kurzerhand als Lykanthropie, Hexenwerk und Zombietum identifiziert und Betroffene abgemurkst. Nach erfolgreichem Bestehen der mittelalterlichen Zeit orientiert sich das europäische Menschengeschlecht dann doch lieber wieder an den wenigen übrig gebliebenen antiken Schriften. Man macht sich langsam und behäbig auf den Weg der Aufklärung, denkt sich Menschenrechte aus, zweifelt und hinterfragt und sucht Naturgesetze, Physik und Chemie an der Wurzel des Wissensbaums. Löblich.
Bestialität und Humanismus: Von Wölfen und Franzosen
Gut, dass die menschliche Geistesgeschichte nicht derart einseitig und simpel verlaufen ist, mal außen vorgelassen – WER zeigt uns nun, was man auf der Spitze des Eisbergs der Erkenntnis aus der Werwolfsache macht: Der Werwolf ist ein kranker Mensch und somit hilfsbedürftig (im Film: Porphyrie – jahrhundertelang fälschlicherweise mit Vampirismus oder Werwolfsymptomatik in einen Topf geworfen). Retrospektiv erklärt man so auf recht clevere und indirekte Art und Weise zahlreiche Missverständnisse längst vergangener Tage. Außerdem kann man auf Handlungsebene somit nicht bloß Menschen gegen Werwölfe kämpfen lassen, sondern auch aufgeklärte, moderne Metropolitaner (Franco-Amerikanerin Kate und ihre zwei buhlenden Companions in der Friend-Zone) gegen ignorante, misogyne und rassistische Alteuropäer (an deren Spitze: Deutschfranzose Klaus Pistor). Letztere führen nichts Gutes im Schilde und lechzen bloß empathielos (da fragt man sich: WER ist hier das Tier?) nach dem tonhaltigen Acker der betagten rumänischen Mutter Talans, um dort verbrauchtes Plutonium zu verscharren (Sacre bleu!). Denn 82% der Energie Frankreichs – so trägt es Eric, das „Gehirn“ und Recherchegenie der amerikanischen Rettungstruppe, brav den anderen vor – wird aus Atomenergie gewonnen. Immer noch kein Grund, die nette Lady zu enteignen und ihren Sohn wegen auffälliger Körperbehaarung ins Gefängnis zu stecken, beschließen die drei Freunde, und machen sich weiter daran, ganz abgeklärt und medizinisch dessen Unschuld zu beweisen.
Ohne zu viel verraten zu wollen: am Ende kriegen alle ihr Fett weg! Und so manch einer verliert auch gern Arm, Bein, Unterleib und -kiefer. Alles schön im bereits erwähnten, leider sehr inkonsequent und ‚random‘ wirkenden Found-Footage-Handkamera-Stil dokumentiert. Hierbei bleibt der Dokumentierende vollkommen unbekannt. Dieser existiert nicht wirklich in der ‚Storywelt‘. Da ist niemand, der mit den Damen und Herren mitläuft und filmt. Der Beweggrund, weshalb man also durchgehend auf einen leichten Wackeleffekt und Digitallook setzt, das Ganze mit Überwachungskamerabildern spickt, wann immer man eine ‚hacken‘ konnte, bleibt mysteriös. Der mitunter übertriebene Einsatz von Nachrichtenschnipseln in schier endlosen Zapping-Collagen (auf der deutschen BluRay inklusive Texttafeln und Logos eingedeutscht) haut sicherlich in dieselbe Kerbe. An der Oberfläche mag das ganze Handwerkszeug zur Authentizitätserzeugung tatsächlich ein paar wacklige Brücken zwischen Inszenierung und Grundmotiv ‚Erbkrankheit statt Teufelswerk‘ schlagen. In letzter Konsequenz aber, wirkt das dann doch eher zusammengeschmissen und ablenkend.
Im Großen und Ganzen ist der Look aber, insbesondere in den Actionszenen, durchaus schick. Die Idee ist liebenswert und das irrationale Franzosen-Bashing unfreiwillig komisch und hat somit sogar Unterhaltungswert (wie war das noch gleich? Menschenrechte – WER hat’s erfunden?).
Neben dem medizinischen Aspekt ist die realistische Aufmachung des ‚Werwolfs‘ besonders gelungen und überzeugt auf dem Level der Glaubwürdigkeit weit mehr als die vielen doch etwas zu hohlen Dialogschnipsel des investigativen Team America (frei übersetzt: „Schau mal, was ich [im Internet] gefunden habe: ‚Lunatic‘ – das Wort kommt von ‚Luna‘ – Mond! Wir haben es mit einem Werwolf zu tun!“ Hä? Ist das für eine heiße Spur nicht etwas schlicht?).
Le Fazit
In guter IMDB-Manier haben wir im Nachhinein versucht, Punkte zu vergeben. Ulf krönt WER mit 6,5/10, von mir gibt’s bloß 5/10. Fazit: Kann man sehen, muss man aber nicht. Das mag auf sehr viele, vermutlich die meisten Filme dort draußen zutreffen. Im Fall von WER lässt sich die dezent dubiose Mischung aus Wissenschaftsglaube und Mythologie, dann noch einmal verrührt mit total doofen Franzosenklischees und dusseligen Dialogen aber ganz besonders gut mit jenem Fazit beschreiben (noch ein frei übersetztes Beispiel, weil’s so schön war: Gavin zickt Rivalen Eric an – „Dann sag mir doch mal, warum du bitte in Frankreich arbeitest!?“, Eric bleibt sprachlos. Ich auch – wer will denn bitte schon in Frankreich leben, vor allem wenn man Teil des US-Arbeitsmarkts sein könnte? Und dann auch noch der Wein, der ganze Käse und diese fiese ‚französische Lebensart‘ … Pfui!).
Dennoch bleibt der Film als tatsächlich-irgendwie-dann-doch-innovativ im Kopf und macht es traditionellen, völlig unreflektierten Monsterfilmen über Werwölfe vielleicht ein bisschen schwerer. Wenn auch nicht voll genutzt, hat WER Potential und macht auch auf audio-visueller Ebene genügend Freude. Vorausgesetzt allerdings – und das sei zum Schluss noch einmal kräftig betont – man lechzt nach Splatter und Gore (als alteingesessener Horrorfilmfan, idealerweise) oder hat sich als treuer Zuschauer von Game of Thrones, Breaking Bad, Boardwalk Empire und anderen neueren ‚Quality-TV-Produktionen‘ ein gutes Stück abgestumpft und akzeptiert Gewalt en detail um des Realismus’ Willen.
Technisches zur deutschen BluRay:
WER: Das Biest in dir. Regie: William Brent Bell. Darsteller u.a.: A. J. Cook, Brian O’Connor, Sebastian Roché, Simon Quarterman.
Filmdistrict. USA, 2013
Ton: DTS-HD Master Audio 5.1
Sprachen: Deutsch, Englisch
UT: Deutsch
Laufzeit: 93 Min.
Gesehen wurde engl. OT mit dt. UT.
Reviewexemplar von: Ascot Elite Home Entertainment / VOLL:KONTAKT | Büro für Onlinekommunikation
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