Winterkrieg (Talvisota, Finnland 1989)
Ich denke mal, jeder kennt mindestens 5 … äh 15 … äh 50 äh … Filme, die irgendwie im Zweiten Weltkrieg spielen. Ganz egal, ob epische Werke wie Saving Private Ryan oder der eher schroff inszenierte Fury, ganz zu schweigen von Der Untergang oder Inglourious Basterds, Indiana Jones und und und. Auch der deutsche Film Stalingrad hat einen – wie ich damals fand – guten Beitrag zum Genre geleistet (und die Russen haben vor kurzem auch einen Film zum Thema Stalingrad mit dem originellen Titel Stalingrad 3D in die Lichtspielhäuser gebracht). Ein Aspekt des Zweiten Weltkrieges, der wohl eher als Randschauplatz zu sehen ist, wurde bisher allerdings kaum filmisch gewürdigt: Der Winterkrieg.
Dabei ist dieses eher kurze Kapitel eines weltumspannenden Konflikts auch eines der – gemessen an der kurzen Dauer – verlustreichsten jener Zeit. Am 30.11.1939 beschließt Russland unter Stalins Führung und nach langen „Friedensverhandlungen“ in Finnland einzumarschieren. Leningrad ist zu nah an der finnischen Grenze und man hätte gern einen größeren Puffer zum Nachbarland, also versucht man erst am Verhandlungstisch und dann mit einer fast 500.000 Mann starken Armee die Finnen (die nur ungefähr halb so viele Soldaten und deutlich schlechtere Bewaffnung hatten) von den eigenen Ansprüchen zu überzeugen. Was folgt ist ein bis zum 13.03.1940 andauernder Konflikt, der den Russen zwar keine direkte Niederlage, aber auch keinen wirklichen Sieg einbringen sollte. Es wurde ein Friedensvertrag unterschrieben, die Finnen gaben große Teile Kareliens und große Gebiete nördlich des Ladogasees ab, dafür wurde von weiteren Feindseligkeiten seitens Russlands abgesehen. Über die Verluste auf beiden Seiten streiten sich Geschichtsbücher wie Historiker. Offiziell verlor die Rote Armee 48.000 Mann (und nochmal 159.000 wurden verwundet), Historiker schätzen die Zahlen aber eher auf bis 270.000 Tote und 300.000 Verwundete, darunter viele erfrorene Soldaten. Auf finnischer Seite gab es offiziell 25.000 Tote und 43.500 Verwundete, wobei auch hier von höheren Zahlen ausgegangen wird (die Rote Armee spricht von 60.000 bis 85.000 Toten und 250.000 Verwundeten, die Geschichtsschreibung geht inzwischen von 26.662 Gefallenen aus).
Da kann man schon herauslesen, dass eine offenbar deutlich unterlegene finnische Armee einen zahlenmäßig überlegenen Gegner in einem nur wenige Monate andauernden Konflikt ziemlich aufgerieben hat und dennoch natürlich dieser Krieg auf beiden Seiten für viel Leid gesorgt hat. Mit Winterkrieg versucht Regisseur Pekka Parikka vor allem diesen Aspekt des Konfliktes filmisch darzustellen.
Der Film erzählt dabei ähnlich wie andere (Anti-)Kriegsfilme die Dinge aus der Sicht weniger Soldaten, die seit Kriegsbeginn von einem Schauplatz zum nächsten fahren. Es beginnt dabei mit dem Scheitern der ersten Friedensverhandlungen im September 1939, die Soldaten werden eingezogen, ausgerüstet und erst einmal zu Manövern geschickt. Der Winter ist noch fern, die finnische Landschaft wirkt karg und die Ausrüstung der Soldaten ebenso. So richtig rechnet noch keiner mit dem Krieg, man wird in die Nähe eines Dorfes verlegt, wo das Leben weiter seinen Gang geht. Die Brüder Martti und Paavo aus Österbotten sind dabei in der gleichen Einheit, ebenso wie einige andere Leute aus ihrer Heimat. Man kennt sich irgendwie, da ist ein Cousin ersten Grades, da ein Vetter, die Stimmung ist zwar angespannt aber noch nicht wirklich dramatisch. Die Feldküche ist verschwunden, wird dann bei einem anderen Trupp gefunden und kurzfristig zurückgeholt. Man hilft beim Pflügen (und verführt hübsche Damen vom Land) und so weiter. Irgendwann wird der Kriegsausbruch dann konkret und man befindet sich in einem Wald in der Nähe der Grenze. Völlig abrupt schlagen Artilleriegeschosse ein und die Hölle bricht los. Zu diesem Zeitpunkt ist ungefähr eine Stunde des fast 200 Minuten langen Filmes vergangen.
Und die Hölle dauert dann auch durchgehend weitere zwei Stunden an.
Wir erleben in diesen zwei Stunden nach und nach, wie der Konflikt die Soldaten körperlich und seelisch kaputt macht. Die russische Taktik ist dabei recht einfach: Mit Panzern vorfahren, dahinter und daneben unzählige Soldaten, die stoisch auf die Linie vorrücken. Und erst kurz vor Erreichen der Schützengräben von den Finnen erschossen werden. Irgendwann heißt die Losung „Zielt auf die Bäuche“, da man so wahrscheinlich einen Gegner ziemlich sicher ausschalten kann (auch wenn es länger dauert bis er stirbt) und man ein optimal großes Ziel hat. Gegen die russischen Panzer kommen später dann Molotow-Cocktails zum Einsatz und diese wurden historisch wirklich im Winterkrieg erfunden. Die Rote Armee steckt dabei große Verluste ein, was zum einen an der mangelnden Taktik liegt und zum anderen an der mangelhaften Ausrüstung. So hat kaum ein russischer Soldat vernünftige Winterkleidung (bei bis zu minus 40°C!!) und auch keine Wintertarnung.
Und genauso wie der Soldat auf dem Bildschirm immer mehr zermürbt wird, man förmlich den Gestank in den Bunkern riechen und die Läuse in den Haaren fühlen kann, genauso wird der Zuschauer vor dem Bildschirm auch zermürbt. Man empfindet die Bilder als lang, grausam und sich immer wieder wiederholend. Keine schnellen Schnitte, keine dramatische Musik, nur Tod und Sterben (oft unerwartet und real, blutig, unangenehm) immer wieder, nur die Fronten ändern sich. Es wurde gesagt, die Russland zuerkannten Gebiete würden gerade reichen, die Kriegstoten zu begraben. Gegen Ende mündet das Ganze in eine erbarmungslose Vernichtungsschlacht, in der Explosionen, Schüsse, Tod und Verzweiflung zu einem emotionslosen Höllenszenario zusammengeschnitten werden, immer und immer wieder, minutenlang. Schonungslos und bedrückend. Wenn das Album „Scenes from Hell“ der japanischen Band Sigh mit all ihren Blechbläsern, Sirenen und infernalischen Sounds der perfekte Soundtrack für den Krieg als ultimative Hölle auf Erden dient, liefert Winterkrieg die passenden Bilder dazu.
Genauso abrupt wie der Krieg auf dem Bildschirm ausbricht endet er dann auch. Keine Prelude, keine Darstellung der Nachkriegszeit. Einfach nur Standbild, Abspann und aus.
Winterkrieg war der offizielle Beitrag Finnlands zum Oscar als bester fremdsprachiger Film und beleuchtet eindringlich ein wichtiges Kapitel finnischer Geschichte. Die jetzt veröffentliche DVD und Blu-Ray enthält den 197 Minuten langen Director’s Cut und ist rund 70 Minuten länger als bisherige Veröffentlichungen außerhalb Finnlands. Das Bild liegt erstmals im originalen Bildseitenformat von 1,67:1 vor und wurde aus einer neuen 4K Abtastung des Kinofilmmaterials erstellt. Der Sound ist eher flach und hat kaum Wucht, was aber meiner Meinung kein Problem darstellt, dadurch wirkt der Film auch nicht so künstlich wie andere Kriegsfilme. Es gibt Wochenschaubeiträge, Rundfunkberichte und ein Interview mit Dr. Agilolf Kesselring (Militärhistoriker, Lehrbeauftragter der Universität Helsinki) zu den historischen Hintergründen. Gleichzeitig empfehle ich auch eine Eigenrecherche auf Wikipedia o.ä. zum Thema.
So oder so ist Winterkrieg ein beeindruckendes und schwer verdauliches Werk, das sicher nicht so einfach abklingt. Prädikat „Sehenswert“.
Disclaimer: Fischpott hat eine Blu-ray als Rezensionsexemplar erhalten.
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