Green Book – Eine besondere Freundschaft
In den letzten Jahren wurde das Verhältnis von Weißen und Schwarzen in den fünfziger Jahren unter den Jim-Crow-Gesetzen der USA von vielen Büchern, Filmen und anderen Medien thematisiert. Der vorliegende Film erzählt die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft zwischen zwei sehr gegensätzlichen Menschen – doch entspricht dies auch der Wirklichkeit?
Aus Antipathie wird Freundschaft
Tony Vallelonga, genannt Tony Lip (Viggo Mortensen), hat gerade seine Arbeit als Türsteher verloren. Damit er seine Familie weiter ernähren kann, nimmt er widerwillig den Job an, den schwarzen Pianisten Dr. Don Shirley (Mahershala Ali) durch die Südstaaten zu fahren, wo dieser eine Konzerttournee geplant hat.
Die beiden Männer stehen sich von vornherein feindselig gegenüber. Tony kann eigentlich keine Schwarzen ausstehen und übernimmt die Tour nur wegen des Geldes, während Don seinen Fahrer für einen ungehobelten Klotz hält, den er nur erträgt, weil er schlagkräftig genug ist, ihn auch mal zu verteidigen, wenn es hart auf hart kommt.
Doch wenn man Tag um Tag und Woche um Woche in einem engen Auto sitzt, kommt man sich zwangsläufig näher. Vor allem aber muss Tony erkennen, wie übel den Schwarzen unabhängig von ihrer Person mitgespielt wird und wie ungerecht das System der Rassentrennung ist. Und nach einiger Zeit zeigt auch der Kokon aus abgehobener Isolation, in dem sich Don vor der Wirklichkeit versteckt, erste Risse.
Am Ende kehren nach acht Wochen zwei veränderte Menschen nach New York zurück.
Preisgekröntes Filmdrama mit Humor
Das Drehbuch zu Green Book – Eine besondere Freundschaft basiert auf realen Ereignissen und wurde unter anderem von Nick Vallelonga, dem Sohn von Tony Lip, verfasst. Peter Farrelly, einer der beiden Farrelly-Brüder, die uns mit unsterblichen … äh … „Klassikern“ wie Dumm und dümmer oder Verrückt nach Mary gequält haben, übernahm die Regie und verfasste das Drehbuch mit.
Doch was zu einer Katastrophe hätte werden können, wurde zu einem großen Erfolg. Der Film konnte 2019 drei Oscars und ebenso viele Golden Globes gewinnen („Bester Film“, „Bestes Drehbuch“ sowie „Bester Nebendarsteller“(?) für Mahershala Ali) und wurde jeweils in mehreren weiteren Kategorien nominiert.
Dies hat er nicht zuletzt den beiden Männern im Mittelpunkt des Films zu verdanken. Viggo Mortensen und Mahershala Ali tragen Green Book nicht zuletzt durch ihre Chemie untereinander und den immer wieder aufblitzenden Humor ihrer Beziehung. Viggo Mortensen zeigt keine Scham, sich in Unterwäsche mit deutlich sichtbarem Bauchansatz zu zeigen und sich mehr oder weniger durch den ganzen Film zu futtern, während Mahershala Ali den abgehobenen Snob so penetrant gibt, dass man manchmal verstehen könnte, wenn Tony ihn aus dem Auto wirft. Letztendlich wachsen die beiden anfangs eher unsympathischen Charaktere dem Zuschauer so ans Herz, dass er fasziniert ihrer Geschichte folgt, bis zum unausweichlichen(?) Happy-End. Manches bleibt dabei eher oberflächlich (wie etwa Dons unterdrücke Homosexualität, die nur einmal kurz thematisiert wird), und einige Probleme werden im Sinne des Filmes so schnell gelöst oder nicht weiter betrachtet, dass man vielleicht doch mehr erwartet hätte.
Die Realität – The Negro Travelers‘ Green Book
Nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs waren die schwarzen Sklaven der Südstaaten zwar frei, aber noch lange nicht gleichberechtigt. Die sogenannten Jim-Crow-Gesetze (abgeleitet von der gleichnamigen Kunstfigur eines schwarzen Tunichtguts, der einfach so in den Tag hinein lebt und sich mit Diebstählen das Nötigste zum Leben besorgt) sorgten für eine strikte Rassentrennung vor allem in den ehemaligen Staaten der Konföderation. Nominell sollten alle Einrichtungen, die es für Weiße gab, noch einmal auch für Schwarze existieren, doch die Wahrheit sah oft völlig anders aus. Hotels, Läden und Tankstellen weigerten sich, Schwarze zu bedienen, es wurden Ausgangsverbote gegen alle Nicht-Weißen verhängt, und in manchen Countys waren schwarze Durchreisende regelrecht Freiwild, auf die geschossen wurde, teilweise sogar von den dortigen Gesetzeshütern.
1932 hatte Victor Green, ein Postbeamter aus Harlem, die Idee, ein Buch zu schreiben, in dem er auflisten wollte, wo Schwarze in den Südstaaten, aber nicht nur dort, gefahrlos übernachten oder sich versorgen konnten. Das erste Negro Motorist Green Book1 erschien 1936. Das Werk zeigte vor allem durch die Lücken, wie schlimm die Situation tatsächlich war. Wenn man für einen ganzen Staat wie Arkansas kaum mehr als ein Dutzend Einträge findet, möchte man sich gar nicht vorstellen, wie die Situation in anderen Gebieten sein mochte.
Mit dem Aufkommen der Bürgerrechtsbewegung in den fünfziger Jahren begann die Zustimmung für die Jim-Crow-Gesetze zu bröckeln, doch erst Präsident Lyndon B. Johnson brachte sie 1964 endgültig zu Fall. 1965 sicherte ein weiteres Gesetz den Schwarzen uneingeschränktes Wahlrecht zu. Dies beendete zwar nicht die Rassenprobleme in den USA, entzog dem Rassismus aber jegliche rechtliche Grundlage.
1966 erschien das inzwischen als Negro Travelers‘ Green Book bekannte Werk aufgrund der veränderten Gesetzeslage zum letzten Mal. Victor Green (der 1960 starb) hätte das gefallen, hatte er doch bereits in seiner ersten Ausgabe geschrieben, dass er hoffte, irgendwann sei ein Buch wie dieses nicht mehr notwendig.
Die Geschichte einer Freundschaft?
Green Book – Eine besondere Freundschaft möchte keine Aufarbeitung dieser geschichtlichen Epoche sein, sondern tatsächlich die Geschichte einer Freundschaft, die sich vor diesem Hintergrund entwickelt.
Wie sehr dies der Wirklichkeit entspricht, wird seit Erscheinen des Filmes heiß diskutiert. So haben Angehörige der Familie von Don Shirley betont, die beiden Männer seien nie „Freunde“ gewesen, während Nick Vallelonga sich bei seiner Geschichte auf Aussagen beider Beteiligten stützt. Fragen kann man sie nicht mehr, starben sie doch 2013 innerhalb weniger Monate.
Die eigenartige Tendenz des amerikanischen Filmgeschäfts, bei Ensemble-Filmen mit an sich gleichwertigen Rollen trotzdem eine künstliche Aufteilung in Hauptdarsteller (Viggo Mortensen) und Nebendarsteller (Mahershala Ali) vorzunehmen, hat diese Diskussion aufgrund der Zurückstufung des schwarzen Darstellers zusätzlich befeuert. Tatsächlich steht die Figur des Tony Lip aber wirklich mehr im Zentrum des Films, was auch der Tatsache geschuldet ist, dass um ihn herum einfach mehr Charaktere auftauchen können als um den isoliert lebenden Don Shirley.
Letztendlich muss man dem Film aber zugestehen, dass er sich tatsächlich auf seine beiden Hauptcharaktere beschränken will. Es werden viele Aspekte der Jim-Crow-Gesetze dargestellt, jedoch immer nur kurz, wie ein Blitzlicht auf einen Hintergrund, der die eigentliche Geschichte nicht überlagern soll. So taucht auch das titelgebende Green Book nur selten auf, und aus den meisten potenziell gefährlichen Situationen kommen die beiden Protagonisten recht einfach wieder heraus.
Doch man sollte den Film nicht zu schnell verurteilen, denn er schafft es sicherlich besser als ein düsteres Drama, den Menschen von heute die fast schon unbegreifliche Situation von damals nahezubringen. Und um sie vor dem Abschalten zu bewahren, wenn die Handlung zu sehr in eine hoffnungslose Richtung abgleitet, blitzt immer wieder wieder ein feiner bis brachial-sympathischer Humor auf, der den Film davor bewahrt, zu ernst zu werden.
Wer mit einem solchen Vorgehen bei einem Thema wie Rassismus nicht klarkommt, muss wohl einen Bogen um Green Book – Eine besondere Freundschaft machen. Doch wer einen hervorragend gespielten Film mit viel Humor und Herz erleben möchte, der eben zusätzlich eine finstere Epoche der Geschichte zum Inhalt hat, dem lege ich diesen Streifen wärmstens ans Herz.
Green Book ist am 19. Juni 2019 als BluRay, DVD und Video on Demand erschienen.
Disclaimer: Wir haben ein Rezensionsexemplar der BluRay von der Firma Universal Pictures Germany erhalten.
- Das zum Beispiel auch in der fiktionalisierten Form des The Safe Negro Travel Guide in Lovecraft Country von Matt Ruff eine wichtige Rolle spielt. – Anmerkung der Redaktion ↩