Total Recall
Es gab da so ein kurzes Zeitfenster in den 90er-Jahren, in dem die interessantesten und provokativsten Filme in Hollywood von einem unscheinbaren Holländer kamen. Robocop, StarshipTroopers, BasicInstinct – Filme von Paul Verhoeven waren zu ihrer Hochzeit absolut einzigartig in Machart und Ton.
Ja, Action und Schauwerte wurden geboten, oft begleitet von lakonischen Sprüchen und One-Linern. Doch Verhoeven-Filme unterschieden sich in einigen zentralen Punkten von der Popcorn-Action-Massenware ihrer Zeitgenossen. Zum einen war da ihre extreme Brutalität – von Kugeln getroffene Gegner in Robocop beispielsweise fielen nicht einfach mit einem kurzen „Arrgh“ blutlos um, sie explodierten förmlich in Blut, während die Kamera genüsslich draufhielt. Zum anderen zeichneten sich Filme von Paul Verhoeven in seiner Hollywood-Phase durch einen tiefschwarzen Humor und eine satirisch unterlegte Erzählweise aus – Starship Troopers beispielsweise war nur vordergründig ein brutaler Space Marines gegen Aliens-Science Fiction Actionstreifen. Hinter der Hochglanz-Inszenierung verbarg sich stattdessen eine knallharte Kritik an faschistoiden Strukturen und einer militarisierten Gesellschaft, die ihrer Zeit weit voraus war – etwas zu weit sogar, denn das, was Paul Verhoeven-Filme so einzigartig machte, machte sie gleichzeitig etwas unzugänglich für die breite Masse, für die diese oft gar nicht mal so subtilen Untertöne im Spektakel des jeweiligen Films untergingen.
Eine Filmperle der 90er
Total Recall von 1990 eine vergessene Perle in Verhoevens Œuvre zu nennen, wäre zu viel gesagt. Immerhin war der (für die damalige Zeit teuerste) Film an den Kinokassen sehr erfolgreich und in der großen Remake-Flut der 2010er bekam auch Total Recall seine eigene stark verwässerte Neuauflage. Aber gerade im Vergleich zu Verhoevens ikonischem Klassiker Robocop sowie seinem späteren Mega-Erfolg Basic Instinct (vorrangig weniger bekannt für seinen Plot als vielmehr für eine unterbuchsenlose Sharon Stone, die während eines Verhörs beiläufig tief blicken lässt – bis heute die wohl am meisten zurückgespulte Szene der Filmgeschichte) und dem berüchtigten Ultra-Flop Showgirls geht Total Recall oft ein klein wenig unter. Wenig hilfreich war zudem die Tatsache, dass der Film in Deutschland aufgrund seiner drastischen Gewaltdarstellung schnell indiziert und erst 2011 wieder ungeschnitten freigegeben wurde. Nun hat Total Recall endlich den großen BluRay-Rerelease, den der Film verdient hat. Zeit für einen neuen Blick auf einen alten Kultklassiker.
Wir schreiben das Jahr 2084. Douglas Quaid (Arnold Schwarzenegger) ist ein Bauarbeiter, der eigentlich alles hat, was ein Mann sich wünschen kann: Haus, Job, Sharon Stone als Ehefrau. Doch etwas fehlt in seinem Leben. Regelmäßig plagen ihn Träume von einem Leben auf dem Mars, doch Lori (Stone) will nichts davon wissen. Quaid beschließt deshalb, sich von der ominösen Firma REKALL künstliche Erinnerungen an einen Marsurlaub einpflanzen zu lassen. Doch bei der Implantierung treten Probleme auf und plötzlich sieht sich Quaid von Männern verfolgt, die ihn töten wollen. Auch Lori ist mehr als die Frau, die sie vorgibt zu sein. Für Quaid gibt es nur einen Ort, der ihm Antworten liefern kann – Mars.
Philosophie mit dem Tunnelbohrer
Total Recall reiht sich in die Liste einer Handvoll Verfilmungen von Kurzgeschichten der Science-Fiction-Legende Philip K. Dick ein, der unter anderen die Vorlagen für Filme wie Blade Runner, Minority Report, Paycheck oder A Scanner Darkly lieferte. Auch wenn sich Verhoevens Film, wie viele andere Dick-Verfilmungen, recht lose an der zugrunde liegenden Kurzgeschichte „We Can Remember It For You Wholesale“ orientiert, sind viele klassische Motive des Autors wiederzufinden. Die Frage nach Identität, Selbst und Erinnerungen zieht sich durch Quaids komplette Reise und einige Elemente greifen sogar dem erst knapp neun Jahre später erscheinenden Matrix vor. Trotzdem reden wir hier von einem Film, in dem Arnold Schwarzenegger einen Gegner mit einem gigantischen Tunnelbohrer tötet und dabei in bestem Steirisch-Englisch brüllt „SCREW YOU!“ – hochtrabende Sci-Fi-Philosophie darf man hier also nicht erwarten.
Überhaupt, lasst uns kurz über Arnold reden. Auf der einen Seite wirkt der Gute nämlich in Total Recall tatsächlich etwas fehlbesetzt, gerade in der ersten Hälfte, in der er ein ganz normaler 08/15-Arbeitertyp sein soll, der sich nach mehr in seinem Leben sehnt. 08/15 ist allerdings nun wirklich nichts, was man diesem Baumstamm von einem Mann abkauft. Zudem ist Arnold zwar wirklich kein schlechter Schauspieler, aber ein monoton dahergeradebrechtes „Ei woz meant foa samzing moah!“ wirkt im Kontext seiner scheinbaren perfekten Ehe mit Sharon Stones Figur, die in Kussszenen mit Arnold im Bett ein wenig wirkt, als würde sich ein Gebirgsmassiv unaufhaltsam auf sie herablassen, eher unfreiwillig komisch. Glücklicherweise hält dieser Zustand nicht lange an und schnell ist Arnold nach seinem Rekall-Trip im Kampfmodus und macht das, was er schon immer am besten konnte: Statisten vermöbeln und einen knackigen One-Liner nach dem anderen rausballern. Und oh Junge, die One-Liner in Total Recall sind legendär. Der ganze Film ist neben seinem generellen Unterhaltungsfaktor unfassbar zitierfähig und das ist nicht zuletzt Arnold und seiner wie immer angenehm selbstironischen Performance zu verdanken.
„You are not you, you’re me“
Was Total Recall auch heute noch so fantastisch macht, ist die Tatsache, dass er auf mehreren Ebenen funktioniert. Zum einen ist da der temporeiche Arnie-Actionstreifen mit One-Linern, Knarren, Explosionen, Verfolgungsjagden und allem Pipapo. Gerade die Schusswechsel profitieren hierbei von dem Paul Verhoeven-Touch, bei dem Kugeleinschläge in ungewöhnlich hohen Blutfontänen explodieren. Zum anderen bietet Total Recall eine spannende Geschichte, die bis zum Schluss den Zuschauer auf falsche Fährten lockt und mit tatsächlich unerwarteten Twists um die Ecke kommt. Und dann sind da noch die vielen bizarren Momente und erinnerungswürdigen Details, die dem Remake beispielsweise komplett abgehen: Arnold, der sich (angeleitet von sich selbst) einen monströs großen Peilsender aus der Nase zieht. Bizarre, schleimige Mutanten auf Mars, die aus dem Bauch wachsen. Arnold, verkleidet als dicke Roboterfrau. Nicht zu vergessen die berühmt-berüchtigte Prostituierte mit drei Brüsten. All das, zusammen mit dem Verhoeven-typischen satirischen Unterton, verleiht Total Recall Charme und Identität, auch wenn das Storypotential zum Ende hin nie vollständig ausgenutzt wird.
Auch der Rest der Darstellerriege muss sich nicht hinter Arnolds überlebensgroßer Performance verstecken. Der Antagonist und Verhoeven-Spezi Ronny Cox frühstückt sich geradezu durch seine Szenen als Gegenspieler Cohaagen. Sharon Stone beweist ein weiteres Mal, dass sie in den 90ern eine überaus unterschätzte Darstellerin war und schmeißt sich mit sichtbaren Spielspaß in ihre Szenen. Unter ganz viel Makeup entdecken Breaking Bad Fans eine frühe Dean Norris-Performance. Und dann ist da natürlich noch Michael Ironside, der einfach jeden Film bereichert (du mich auch, Fabian!!!!).
Man sieht sich auf der Mars-Party!
Die vorliegende BluRay-Neuauflage ist dankenswerterweise nicht nur vollständig ungeschnitten, sondern sieht auch noch fantastisch aus. Manchmal ist das gestochen scharfe Bild ein etwas zweischneidiges Schwert: Die Detailverliebtheit in jeder Szene ist so deutlich zu erkennen wie nie zuvor – aber Sets und Modelle sind natürlich im Gegensatz zu alten, körnigen VHS-Versionen viel klarer als solche identifizierbarer. Das tut dem Spaß an dieser BluRay-Version allerdings keinen Abbruch, insbesondere da das wichtigste Element immer noch vorhanden ist – der großartige Audiokommentar von Paul Verhoeven und Arnold Schwarzenegger! Während Verhoeven versucht, klassische Hintergrundinformationen und Trivia unterzubringen, scheint Arnold das Konzept „Audiokommentar“ hier so zu interpretieren, dass er jede Szene des Films nacherzählen muss, was er mit einem kindlichen Enthusiasmus macht, dass es nur so eine Freude ist.
Total Recall ist ein intelligenter, dummer, liebevoll gestalteter, bitterböser, bizarrer, hochgradig unterhaltsamer Actionklassiker, der zwar nie so ganz mit den Meisterwerken aus Paul Verhoevens Bibliothek mithalten kann – aber sehr nahe rankommt. Und endlich kann man ihn ungeschnitten in dem Glanz erleben, den er verdient hat. In diesem Sinne: „Get your ass to Mars!“
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