Demolition Man (1993)
Herzlich willkommen, liebe Lesende, zum Back in Action Monday! Ab sofort reist Fischpott einmal im Monat zurück in die Neunziger (oder in ähnliche bizarre Zeiten), um euch hier eine Retro-Rezension zu einem vergessenen oder immer noch krass endgeilen Action-Klassiker zum Anschauen oder digital spielbar zu präsentieren. Der inoffizielle Auftakt, der Pilot wenn man so will, dieser Rubrik war Passenger 57, heute geht es mit einer weiteren Snipes-Perle weiter.
Demolition Man
Demolition Man ist der beste Film der Welt. Warum ist das so?
- Wesley Snipes ist blond.
- Die Gags sitzen.
- Der Film ist voll philosophisch – selbst Richard David Precht zitiert ihn in seinem jüngsten Werk Jäger, Hirten, Kritiker.
- Vor allem aber: Demolition Man überzeugt als Actionfilm.
Wie geht’s los?
Wir schreiben das Jahr 1996. Los Angeles ist ziemlich im Arsch, denn überall gibt es Bösewichte – und der schlimmste von ihnen ist Simon Phoenix (Wesley Snipes). Seine neueste Schandtat war es, einen Bus mit 30 Passagieren zu entführen und die in einem alten Warehouse als Geiseln zu halten. Doch das Leben als Tunichtgut ist nicht so leicht, wenn man den Härtesten der Harten als Kontrahenten hat (Silvester Stallone als der „Demolition Man“ John Spartan): Spartan nimmt das Gebäude hops und tritt Phoenix in den Arsch. 1:0 für das Gute.
Phoenix jedoch hat bereits das ganze Gebäude in Brand gesetzt und hinterher werden überall tote Geiseln gefunden. Weil John Spartan die ganze Aktion auf eigene Faust durchgezogen hat (pfui, Selbstjustiz), wird ihm eine Mitschuld am Tod der Menschen gegeben (wie sich später herausstellen soll: zu Unrecht) und so werden beide – als moderne Strafvollzugsmaßnahme – eingefroren, um einer Verhaltensmodifikation unterzogen und in einigen Jahrzehnten wieder aufgetaut zu werden. Ende Akt I.
Wie geht’s weiter?
Es beginnt der eigentliche Hauptfilm. Im Jahr 2032 gibt es keine Verbrechen mehr, die Menschheit lebt in Frieden. Und in Langeweile, denn verboten ist so ziemlich alles: Küssen, Zigaretten, Vögeln, Knoblauch, Fluchen und sogar ein symbolischer Handshake unter echten Männern.
Just in dieser Zeit wird Simon Phoenix zu einem ersten Bewährungsgespräch aufgetaut. Doch – oh weh! – er kennt plötzlich alle Zugangscodes, ist stärker und cleverer als je zuvor und entlieht; so brutal, dass er gleich drei unschuldige Menschen in den Tod reißt und die restliche Polizei bei ihrem Versuch, ihn festzunehmen, spielerisch vorführt („Wir sind Polizeibeamte – für Gewalt wurden wir nicht ausgebildet!“).
Da ist es doch nur folgerichtig, dass Lenina Huxley – gespielt von Sandra Bullock, die ihren Schauspielkollegen in diesem Film mehrfach die Show stiehlt … und, ja, viele Namen und Storyschnipsel sind Huxleys Brave New World entlehnt – auf die Idee kommt, John Spartan aufzutauen. Die Story dreht sich nun um ein irrwitziges Katz-und-Maus-Spiel zwischen Phoenix und Spartan, die sich beide irgendwie in der Zukunft zurechtfinden müssen. Phoenix hat dabei jedoch leichte Startvorteile, denn seine „Verhaltensmodifikation“ im Eisfach, die ja eigentlich der Resozialisierung dienen sollte, bestand eher daran, ihm Karate, Schusswaffengebrauch und sämtliche Passwörter in’s Hirn zu pflanzen, die er nur irgend braucht, um den einzigen Rebell, der noch bleibt – Mr. Edgar Friendly – zu finden und zu töten. Daran nicht ganz unbeteiligt ist auch irgendwie Dr. Raymond Cocteau, ein evangelikaler Spinner, der diese verrückte friedliche Welt erst erschaffen hat. „MEINE Gesellschaft“, wie er sagt.
Warum dieser Film so gut ist, Teil I: Die Action
Zunächst einmal erfüllt Demolition Man das Pflichtprogramm; es gibt auf die Fresse, Dinge explodieren, Menschen sterben. Dabei besonders hervorzuheben sind die drei (!) zentralen Fights zwischen Silvester Stallone und Wesley Snipes, die auch jeweils die Stärken der Darsteller gekonnt in Szene setzen: So ist Stallone eben ein massiger Muskelprotz, der einstecken und im Wesentlichen boxen kann, und Snipes ist ein beweglicher Capoeira-Künstler, der folgerichtig mit allerlei Kabinettstückchen um sich tritt. Alle drei Kämpfe sind sehr abwechslungsreich, finden in drei sehr unterschiedlichen Umgebungen statt (brennendes Lager / Museum / Strafvollzugsanstalt beziehungsweise Eislabor) und sind über alle Maßen hinaus aufwändig choreographiert. Auch die „upper hand“ der Kämpfe wechselt angenehm häufig, wobei Simon Phoenix strenggenommen erst nach seiner Eisschrankerfahrung zu einem ebenbürtigen Gegner wird.
Wenngleich der Showdown – Phoenix vs. Spartan – das Kernelement der Action bildet, so gibt es darüber hinaus zahlreiche Schmankerl. Wie in jedem guten Martial-Arts-Film führt der Böse allzu kampfunerfahrene Gegner vor, bekämpft mehrere gleichzeitig und wirft sie durch die Gegend. In Actionfilmen der 90er geht das als Charakterentwicklung durch. Zudem wird „die Zukunft“ geschickt in die Action eingebaut – dazu gehört natürlich viel Elektro, Laser und so Zeugs, aber auch selbstfahrende Autos. Dabei gibt es fast keine langatmigen Passagen, ohne dass Demolition Man auf seinen 115 Minuten überladen wirkte.
Warum dieser Film so gut ist, Teil II: Der Witz
Es ist ein schmaler Grad zwischen dem verachtenswerten Genre der Action-Comedy und dem „reinen“ Actionfilm, der trotzdem witzig ist. Hot Fuzz gelingt es, Kick-Ass gelingt es und Demolition Man gelingt es auch: Dabei rührt der Humor natürlich in erster Linie aus dem scharfen Kontrast der beiden 90er-Jahre-Testosteron-Spacken John Spartan und Simon Phoenix, die sich in einer Welt des Friedens, der Harmonie und des furzfreien Beisammenseins allzu daneben benehmen. So gibt Spartan seinen Kollegen ungefragt die Hand, flucht ständig (und kassiert dafür Strafzettel für Verstöße gegen das „verbale Moralitätsstatut“) und missversteht Lenina Huxleys höfliche Anfrage, ob er „Sex mit ihr haben wolle“, als Aufforderung zum Bumsen – woraufhin sie ihn rausschmeißt.1
Doch mit derlei Anachronismen ist es nicht getan, denn der Film ist gespickt mit – nur wenigen abgedroschenen und zumeist wirklich lustigen – Spasseken, derer es zu viele gibt, um sie alle aufzuzählen:
- Lenina Huxley erwähnt John Spartan gegenüber die „Schwarzenegger-Präsidenten-Bibliothek“, woraufhin dieser entrüstet aufhorcht.
- Lenina Huxley ist begeistert vom 20. Jahrhundert und hat alle Filme von Jackie Chan gesehen. Leider bringt sie die coolen Sprüche durcheinander und Spartan muss sie korrigieren („Jetzt blasen wir diesem Kerl einen!“ → „Weg!!! Wir blasen diesen Kerl weg!“)
- John Spartan verprügelt Simon Phoenix mit einem alten Röhrenfernseher und sagt: „Du kommst in’s Fernsehen.“
- Im Untergrund bestellt sich Spartan einen leckeren Burger, beißt ab und fragt nach der Herkunft des Fleisches: Esta carne es de rata.
- Alle Edelrestaurants des Landes sind nun Pizza Hut.
Warum dieser Film so gut ist, Teil III: Die Atmosphäre
Wie gesagt, spielt ein Großteil des Films in einer utopischen Megacity – San Angeles, einem Zusammenschluss des Metropolkomplexes Los Angeles, Santa Barbara und San Diego nach dem großen Erdbeben im Jahr 2010. Und wenn man auch nicht den Fehler machen sollte, das Drehbuch mit einer cleveren, sozialkritischen Zukunftsvision zu verwechseln, so wirkt doch das Szenario als Ganzes (auf komische Weise) nachvollziehbar, was sowohl Technologie (Tesla-Elektrokisten, Videoüberwachung, ständige Kontrolle durch Chipimplantate) als auch Verhaltensnormen (soziale Sexualkontrolle, Auslöschung von Verbrechen durch Auslöschung der Möglichkeiten dazu statt durch Moral und Gesetzgebung, Ignoranz und Verachtung von Armut) betrifft. Vor allem aber ist das Setting interessant, denn man ist als Zuschauer geneigt, der Entwicklung des Films nicht nur im Kleinen – wer gewinnt?, welche Rolle spielt der Stadtgründer? -, sondern auch im Großen zu folgen: Was ist denn noch alles verboten, was ist seit 1996 passiert, welche Waffen gibt es nun und wie zur Hölle funktioniert das mit den drei Muscheln?2
Noch wichtiger – und womöglich sogar geheimes Erfolgsrezept von Demolition Man – ist jedoch die Farbgebung. Während sich viele Actionfilme doch allzu sehr in Düsterkeit hüllen – zum einen, um alte Rollenklischees zu bedienen, zum anderen, um allzu schlechte Actionsequenzen zu vertuschen – so zeichnet sich Demolition Man weitgehend durch sehr angenehme Weißtöne und eine starke Beleuchtung aus. Das dient natürlich zum einen dazu, den Kontrast von 1996 zu 2032 darzustellen – und innerhalb des Jahres 2032 auch die Oberwelt gegen den rebellischen Untergrund (der im Kern eine Fortschreibung des 20. Jahrhunderts inkl. 1970er Oldsmobile 442 ist). Das lässt aber auch die Action der Zukunft einzigartig wirken, was Demolition Man tatsächlich einen ganz besonderen Charme verleiht.
Wer sollte Demolition Man gesehen haben?
Wen plot holes stören, wer sich nicht für großartig choreographierte – aber nicht übertrieben stilisierte – Kampfszenen begeistern lässt, wer über den ein oder anderen blöden Oneliner nicht hinwegsehen kann, der bleibe doch bei La Dolce Vita. Für alle anderen ist Demolition Man ein Fest, und das Beste ist: Dieser Film altert nicht, im Gegenteil!