The Lodge
Horrorfilm-Fans hatten in den letzten Jahren verallgemeinernd ausgedrückt zwei Alternativen zum zünftigen Zittern: Entweder formelhafte Spukhaus-Geisterbahnen aus dem Hause Blumhouse (The Conjuring, Annabelle, Insidious etc.) oder langsame, metaphorische Arthouse-Horrorthriller von kleinen Studios wie A24 (The Witch, Hereditary, It Comes At Night, Midsommar etc.). The Lodge zählt eindeutig zur zweiten Kategorie – kommt aber aus einem legendären Haus, das in der Vergangenheit eher für Monsterfilm-Klassiker bekannt war: Das Hammer Films Studio.
Dracula, Frankensteins Monster und den Wolfman sucht man hier allerdings vergebens. Um das Studio war es in den vergangenen Jahren etwas still geworden. Mit The Lodge versuchen Hammer Films nun, auf den seit Hereditary überaus erfolgreichen Trend subtiler Psycho-Horrorfilme aufzuspringen – und holen sich dafür gleich Experten für diese Art Grusel an Bord: The Lodge stammt aus der Feder des österreichischen Regie-Duos Veronika Franz und Severin Fiala, die zuvor für den angenehm unangenehmen Horrror-Geheimtipp Ich seh, Ich seh verantwortlich waren.
Abgelegene Familienhütten umgeben von endlosen Schneelandschaften? Lieber nicht!
Sechs Monate nach dem Selbstmord seiner Frau Laura (Alicia Silverstone) will Richard (Richard Armitage) gemeinsam mit seinen beiden Kindern Aidan und Mia sowie seiner neuen Flamme Grace (Riley Keough) Weihnachten feiern. Blöd nur, dass beide Kinder ihrer zukünftigen Stiefmutter mehr als ablehnend gegenüberstehen – nicht zuletzt wegen Graces undurchsichtiger Vergangenheit in einem religiösen Kult mit Hang zum Massensuizid. Richard hält nichts von der Abneigung seiner Kinder und plant einen gemeinsamen Trip in eine abgelegene Familienhütte umgeben von endlosen Schneelandschaften zum „besseren Kennenlernen“ untereinander. Es kommt, wie es in abgelegenen Familienhütten umgeben von endlosen Schneelandschaften eben kommen muss. Offenbar hat niemand Richard mitgeteilt, dass er sich in einem Horrorfilm befindet …
Man kann sagen, dass in The Lodge lange nichts passiert. Nach einer schockierenden Eröffnung nehmen sich Franz und Fiala viel Zeit, die Spannung langsam und methodisch aufzubauen. Lange Einstellungen und ruhige Passagen können die weniger geduldigen Horrorfans durchaus frustrieren. All das wäre aber nur die halbe Wahrheit, denn von der ersten Einstellung an wird eine subtil unangenehme Atmosphäre aufgebaut. Ja, die Einstellungen sind lang und ruhig, gleichzeitig sind die Bildausschnitte wahlweise auf Distanz oder viel zu nahe zu den Figuren. So bleiben die Charaktere lange undurchsichtig, ihr Innenleben lässt sich nur erahnen. Wer sich hier an die kühl-distanzierende Haltung der Protagonisten aus Ich seh, Ich seh erinnert fühlt, liegt gar nicht mal so falsch: Die Regisseure ziehen über lange Passagen des Films einen Großteil der Spannung aus der allgemeinen Unsicherheit über die Motive ihrer Figuren.
A24-Lite Horror
Ohne an dieser Stelle zu viel vorwegnehmen zu wollen: Eines der zentralen Leitmotive von The Lodge ist emotionales Trauma, wodurch natürlich schnell Vergleiche zu großen Vorbildern wie The Babadook oder Hereditary aufkommen. Gerade bei Letzterem sollten aber die Erwartungen nicht zu krass in die Höhe schießen, denn an die emotionale Tortur von Ari Asters modernem Horrorklassiker kommt The Lodge leider nicht heran. Trotzdem ist der schleichende Spannungsaufbau auch hier durchaus effektiv. Einfallsreiche Einstellungen und Filmtricks, darunter das wiederkehrende Motiv eines Puppenhauses, und das Spiel mit für die Charaktere relevanter Symbolik wie dem christlichen Kruzifix sorgen dafür, dass The Lodge nie beliebig wird.
Horrorelemente kommen dabei sehr allmählich zum Tragen und beschränken sich bis auf die letzte halbe Stunde zu Beginn nur auf Traumsequenzen (It Comes At Night lässt grüßen). Ein, zwei etwas billige Jumpscares tauchen dabei auch auf, ansonsten verzichten die Regisseure dankenswerterweise weitgehend auf billige Tricks und vertrauen auf die unbehagliche Atmosphäre. Sobald die Situation irgendwann dann unausweichlich eskaliert und es zur großen „Auflösung“ kommt, fällt der Film, wie schon sein Vorgänger Ich seh, Ich seh leider etwas auseinander. The Lodge hat große Ideen, kann aber Klischees nicht ganz vermeiden und wirkt zum Schluss dann doch etwas konstruiert. Das gewollt schockierende Ende gerät so etwas unbefriedigend, besonders da der Film zuvor so gekonnt und stimmig inszeniert war.
Wie spricht man nochmal Keough aus?
Dass The Lodge trotz dieses Makels nicht auseinanderfällt und alles in allem als Gesamtpaket funktioniert, liegt an den beeindruckenden Schauspielleistungen des kleinen Ensembles. Auch wenn Riley Keoughs Gesicht prominent auf den Postern prangt, wird ein Großteil der Handlung aus der Perspektive der beiden Kinder (gespielt von Lia McHugh und dem aus Es und Knives Out bekannten Jaeden Martell) geschildert. Gerade die geschwisterliche Beziehung der beiden ist hier sehr glaubhaft gespielt, auch wenn Martell nie ganz den Bill Denbrough aus Es loswird. Aus der Sicht der Kinder wird Grace im ersten Drittel des Films lange nicht oder nur in Schemen gezeigt, was die Unsicherheit und das Misstrauen der Kinder direkt auf den Zuschauer überträgt.
Trotzdem steht Keoughs Performance im Zentrum von The Lodge. Der aus Mad Max: Fury Road und Under the Silver Lake bekannten Charakterdarstellerin gelingt der extrem schwierige Spagat, ihre Figur distanziert, unheimlich und trotzdem verletzlich wirken zu lassen. Auch wenn wir erst spät in ihr Innenleben Einblick bekommen, schafft es Riley Keough, den Film zu tragen – vor allem, da sie über lange Passagen des Films mit den Kindern allein ist. Richard Armitages Figur ist nur zu Anfang und gegen Ende des Filmes anwesend – dass er es trotzdem schafft, in seinen wenigen Szenen einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, zeigt, dass er ein mehr als fähiger Schauspieler ist, der dringend mehr Rollen bekommen sollte. Nicht unerwähnt bleiben sollte die mit noch weniger Screentime geschlagene Alicia Silverstone, deren kraftvolle Performance in ihrer einzigen Szene (!!) auch nach dem Abspann noch nachhaltig in Erinnerung bleibt.
Nach ihrem vielversprechenden Erstling Ich seh, Ich seh haben Veronika Franz und Severin Fiala mit ihrem ersten internationalen Film The Lodge einen soliden, wenn auch nicht überragenden Horrorfilm abgeliefert. Für Fans der schleichenden Horrorstreifen aus dem Hause A24 wird hier eine durchaus taugliche, spannende Alternative geboten – ohne dass allerdings die unerträgliche Intensität eines The Witch oder Hereditary aufkommen will. Man merkt aber, dass die beiden Österreicher ihr Handwerk verstehen und den einen oder anderen Angstmoment in petto haben. Nach Ich seh, Ich seh und The Lodge bin zumindest ich auf ihr nächstes Projekt gespannt. Und wer weiß? Vielleicht kommt dann der nächste große Horrorfilm-Klassiker mal nicht aus dem Hause Blumhouse oder A24, sondern endlich mal wieder von Hammer Films.
Auf den Urlaub in abgelegenen Familienhütten umgeben von endlosen Schneelandschaften sollte vielleicht trotzdem verzichtet werden.
Fischpott-Disclaimer: Wir haben ein Rezensionsexemplar der Blu-ray erhalten.
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